PR TB 108 Der Arkonide Und Der Sonnenkönig
Die Reitpferde waren an beiden Seiten des Gepäckbrettes
angebunden, die Hunde liefen vor und hinter der Kutsche. Die Straße
schlängelte sich als helles Band zwischen den regennassen
Feldern dahin, kam an eine Abzweigung, der wir folgten. In
verwitterten, alten Lettern stand dort: Droyden
Die Fremden werden weitergezogen sein, aber sicher erhälst du
wichtige Aufschlüsse über sie, flüsterte der
Extrasinn.
Als ich heute, kurz vor der Landung des versteckten Gleiters,
meine Robotsonden abgefragt hatte, waren die vier Vagabunden noch im
Haus Droyden gewesen. Inzwischen mochte sich einiges geändert
haben.
Wir betraten einen Staat und ein Land, das unter der Herrschaft
eines Königs »von Gottes Gnaden« stand.
Die Unterschiede waren überall deutlich sichtbar gewesen: Was
aus der Ferne wie ein pittoreskes Dorf aussah, wurde bei näherer
Betrachtung zu einer Ansammlung von Armenhäusern. Gewaltige
Steuern, Abgaben und Dienstleistungen flössen in die Taschen der
Landbesitzer und in die Staatskasse. Diese Gelder und Leistungen
hielten eine dünne, aber rücksichtslose Schicht an der
Macht.
Sie verkörperte die Kultur und den Fortschritt und hielt
beides gleichermaßen auf, indem sie alles für sich
beanspruchte - aber auch das konnte ich nicht ändern. Ich mußte
mich anpassen, wenn ich mein Ziel erreichen wollte. Dieses Ziel hieß
nach wie vor ARKON.
Und ich würde tun, was ich konnte, um in meiner Umgebung das
Los von Unterdrückten zu erleichtern.
Der Regen hörte auf, kurz nach Sonnenuntergang. Als wir das
Kläffen von Hunden hörten, wurde es Nacht. Wir waren vor
dem ausgedehnten Gutshof angekommen.
»Werden sie uns aufnehmen, Atlan?« fragte Tairi
besorgt.
»Ich hoffe es«, sagte ich.
Eine Tür öffnete sich. Eine Silhouette hob sich gegen
den hellen Hintergrund ab. Eine kraftvolle Stimme rief über den
Hof:
»Wer seid Ihr, Fremder?«
Ich stieg aus der Kutsche, führte Tairi neben mir auf den
Lichtschein zu und erkannte einen hochgewachsenen, schlanken Mann mit
breiten Schultern und langem Haar, das bis zu den Schultern reichte.
»Mein Name ist Atlan de l’Arcon. Ich suche die vier
Fremden, die Eure Gäste sind, Herr von Droyden!« erwiderte
ich.
Er trat zur Seite und musterte uns prüfend. Dann lächelte
er, wobei er schlechte Zähne zeigte.
»Willkommen«, sagte er. »Aber die Fremden sind
bereits wieder auf dem Weg nach Melun.«
»Dürfen wir eintreten?« fragte Tairi mit ihrem
akzentuierten Französisch.
»Seid bitte meine Gäste!« antwortete Herr von
Droyden.
Die Familie des Herrn von Droyden zeigte sich gastfreundlich,
aufgeschlossen und gesprächsbereit, und Tairi und ich vertieften
unsere Kenntnisse von Land und Leuten, von den sozialen Strukturen
und dem Hof zu Versailles. Und von den vier Fremden. Nach kurzer Zeit
kannten wir die Namen.
Dié nannte sich nun Gabrielle Doreau. Verga war zu Beatrix
Vergaty geworden, Nyder hatte seinen Namen in Diannot de Jara
geändert, und Troy war Royer Arcola. Und: Ihr erklärtes
Ziel war Versailles. Sie wollten den Großen König, den
Sonnenkönig, also den vierzehnten Ludwig kennenlernen.
Es gefiel ihnen unvorstellbar gut hier, hatten sie gesagt.
Am nächsten Morgen erwarteten uns ein strahlender Himmel, ein
ausgezeichnetes Essen auf der Terrasse des schloß ähnlichen
Gutshofes, eine Reihe angenehmer Gespräche und eine erstaunliche
Person.
Eine etwa sechzigjährige Frau mit klugen Augen, Antoinette
Droyden, die Großmutter des Hausherrn.
Auch sie wollte den Sommer in unmittelbarer Nähe von
Versailles verbringen, eingezwängt in das starre Reglement des
höfischen Zeremoniells.
Mache sie zu deiner Freundin, flüsterte eindringlich der
Logiksektor. Du wirst dann am Hof des Königs eine Verbündete
haben, die dich beraten kann!
5.
Wir waren reisefertig.
Von der Terrasse aus sahen wir, wie die Diener und Knechte die
Pferde anschirrten und unser Gepäck festschnallten. Verglichen
mit allen anderen Menschen, die ich in den wenigen Tagen bisher
kennengelernt hatte, war Antoinette Droyden geradezu universal
gebildet.
»In diesem Jahr wird die Schloßkirche von Versailles
fertig«, sagte Madame de Droyden. »Und dann werden wir
Lullys, Charpentiers und vielleicht auch die Werke des Deutschen Bach
dort hören können. Wußten Sie, Herr Atlan, daß
ein Philosoph versucht hat, die Spaltung der christlichen Kirchen
wieder aufzuheben?«
»Nein«, sagte ich. »Aber wer immer es war - er
dürfte damit gescheitert sein!«
Sie nickte und wedelte
Weitere Kostenlose Bücher