PR TB 217 Das Mittelmeer Inferno
geschehen
war.
„Sie werden den König begraben", flüsterte
Nestor. Perses fuhr fort:
„In einem gewaltigen Tholos, einem Kuppelgrab. Gelegenheit
für dich, Atlan, überzeugend aufzutreten. Denke dir etwas
Gewaltiges aus,ja?"
Ich nickte ihm dankbar zu und dachte nach: mit welchen Mitteln
meiner Ausrüstung, einzeln oder kombiniert angewandt, konnte ich
die ungläubigen Menschen so erschrecken, daß sie vor dem
ungleich größeren Schrecken flüchteten, bevor es zu
spät war?
„Was nun?" fragte Nestor den Hafenmeister. „Wir
brauchen ein Quartier, das uns vor den kalten Winden schützt."
„Ihr könnt bei mir bleiben." Er zählte
schnell die Riemendollen unseres Schiffes, schloß mit großer
Erfahrung auf die Anzahl der Besatzung und preßte die Lippen
aufeinander. „Fünfzig Männer? Es wird eng werden. Ihr
müßt dabei sein, wenn der König begraben wird."
„Darauf kann sich ganz Athen verlassen!" versicherte
ich.
Wir versuchten, es uns so bequem wie möglich zu machen. Hafen
und Siedlung lagen weit auseinander. Den Rest des Tages verbrachte
der größte Teil der Mannschaft damit, sich umzusehen,
Fragen zu stellen und mitjedem, den sie trafen, über das Orakel
zu sprechen. Wie immer schilderten sie die Flutwelle und die
Verwüstungen, das Morden der Ungeheuer und andere Schrecken. Wir
machten uns auf den Weg, um die Stadt zu besuchen.
Auch über Athen lag ein beklemmendes Schweigen.
Die Bevölkerung, vielleicht viertausend Menschen, ging ruhig
ihrer Beschäftigung nach. Aber zwischen der Stadtgrenze und
einem bewachsenen Hügel, etwa eine halbe Stunde Fußmarsch
entfernt, bewegten sich
Männer und zahlreiche Gespanne. Wir zeigten mehrmals den Ring
des Minoos, und zum erstenmal auf unserer Reise mußten wir
erkennen, daß dieses Zeichen nur widerwillig anerkannt wurde.
„Also herrscht zwischen diesem Ort am Festland und der Insel
eine deutliche Rivalität", faßte Merops unsere
vielfältigen Beobachtungen zusammen. „Auch das sollten wir
ausnutzen!"
„Ich denke daran!" brummte ich.
Ein langer Zug von Menschen bewegte sich zwischen dem Tholos und
dem befestigten Stadttor hin und her. In einem Hügel waren ein
langer, aus Quadern gemauerter Gang und eine gewaltige Kuppelöffnung
aufgebrochen worden. Der kantige Kragstein ruhte in einem Gestell aus
behauenen Holzbalken, die mit Stricken sauber aneinander gebunden
waren. Die Kuppel unter dem Hügel war nicht niedriger als acht,
neun Mannslängen, ihr Durchmesser betrug etwa das gleiche.
Schwarz und drohend ragten Zypressen rund um den Grabhügel auf.
Obwohl es gerade noch Tag war, hielten viele Männer brennende
Fackeln hoch. Riesige Blöcke, senkrecht und waagrecht
aufeinander getürmt, bildeten den Eingang. Bronzeplatten
befanden sich an den Wänden. Es war ein gigantisches,
barbarisches Grab, das nicht zum erstenmal benutzt wurde.
Ein Bewaffneter hielt uns auf.
„Ihr da! Ihr scheint voller Neugierde zu sein?"
Ich verzichtete auf die Demonstration des minooischen Siegels und
erklärte, wer wir waren, woher wir kamen, und daß wir die
Boten des Orakels wären. Immer wieder dieselben Worte, die
gleichen Wendungen. Nachdem wir einer ständig größer
werdenden Gruppe von Wachen alles erklärt hatten, wurde uns
förmlich aufgetragen, nachts beim Begräbnis des Königs
Fackeln zu halten und zu wehklagen. Wir versprachen es.
So schnell wie möglich gingen wir zurück zum Schiff. Wir
ließen Dendro beim Grabhügel zurück. Er sollte
genau beobachten, auf welche Weise wir die Menschen überzeugen
konnten. Aus den Vorräten des Schiffes rüsteten Ptah,
Nestor und ich uns aus. Wir aßen und tranken eine Kleinigkeit,
mieteten vom Hafenmeister ein Gespann und donnerten zurück zum
Grabhügel. Inzwischen war es Nacht geworden. Krähenschwärme
kreisten über den Zypressenwipfeln und flogen davon, als ein
weißbärtiger Mann ihnen mit geballter Faust drohte und sie
verfluchte.
Wir mischten uns unter die Wachen, die sich langsam zu einer
langen Kette zwischen der Stadt und dem Grab mit den grünen
Eingangssäulen formierten. Aus der Stadt erscholl der dumpfe
Lärm einer großen Menschenmasse. Das Dröhnen riesiger
Trommeln markierte jeden zweiten Schritt einer Prozession, die sich
feierlich langsam näherte. Grelle Schreie ertönten in
unregelmäßigen Abständen. Die Flammen der Fackeln und
der Qualm, der von ihren Enden in den sternklaren Nachthimmel
aufstieg, bildeten über der schwach erhellten Silhouette von
Athen eine kleine, spiralig ineinander
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