PR TB 217 Das Mittelmeer Inferno
verschmelzende Wolke.
In der Mitte der Grabkuppel aus sorgfältig gemeißelten
Blöcken war ein großes, rechteckiges Grab, fast zwei
Mannslängen tief und im Geviert, ausgehoben worden. Holzbohlen,
mit Fellen, golddurchwirkten Teppichen und Mänteln bedeckt,
lagen darin. Zwischen dem Ende des langen Dromos, des Ganges voller
Bronzetafeln, war ein mächtiger Scheiterhaufen aufgetürmt
worden, zwischen dessen Holz man einen breiten Durchgang gelassen
hatte.
Dendro näherte sich unserer Gruppe. Er wirkte zufrieden und
teilte uns seine Beobachtungen flüsternd mit.
Niemand von euch wird jemals einen dieser Menschen Wiedersehen,
sagte das Extrahirn beschwörend. Laßt euch von Trauer und
Mitleid nicht zu sehr fesseln!
Die Warnung war berechtigt, sagte ich mir bewußt,
aber sie bewirkte nichts. Die Stimmung, in der sich ein paar
Tausend Menschen befanden, griff auf uns über. Obwohl wir nicht
einmal den Toten kannten, obwohl wir mit ihm, als er noch auf dem
Marmorthron saß, kein Wort gewechselt hatten, begriffen wir die
Trauer der Menschen.
Die Spitze des Zuges kam näher.
Gedrungene Sklaven in weißen Gewändern trugen die
wuchtigen Trommeln. Priester und Novizen schlugen mit Schenkelknochen
von Stieren oder Pferden darauf. Dahinter kam eine Gruppe von Frauen,
die sich das Haar rauften, die Gesichter mit den Fingernägeln
zerkratzten und schrille Wehklagensschreie ausstießen. Hirten
kamen dahinter, die auf den Syringen, verschieden langen Röhren,
wimmernde Pfeiftöne erzeugten. Schweiß rann in breiten
Bächen von den Gesichtern. Die Klänge von kleinen Harfen,
die von schweigend weinenden Männern gezupft wurden, gingen in
dem dumpfen und grellen Lärm unter. Kläffende und heulende
Hunde begleiteten die Prozession. Funken wirbelten von den Fackeln in
die Luft. Der Leichnam des Königs wurde von mindestens dreißig
Männern getragen; er ruhte auf einem Stangengestell und war auf
mehrere prächtige Schilde gebettet. Der Körper in einer
goldenen
Prunkrüstung war von Mänteln und Decken überhäuft.
Über dem Gesicht des Königs lag eie Maske aus Gold. Sie
zeigte das harte Gesicht eines alten Mannes, jede Locke und jeder
Kringel des Bartes war modelliert. Im flackernden Licht schienen sich
die goldenen Gesichtszüge zu bewegen, die Lippen schienen Gebete
oder Flüche zu murmeln.
„Es wird lange dauern", sagte Nestor ergriffen, „bis
das Grab wieder verschlossen werden kann."
„Für uns", meinte Perses knapp, „ist das
Feuer wichtig."
„Es wird bis zum Morgen brennen. Eine riesige Masse Holz
steckt dort unten", versicherte Merops.
Der Zug erreichte jetzt den Eingang. Unverändert hielt der
Lärm an. Er war der Ausdruck einer kollektiven Trauer, die nicht
einen Augenblick den Eindruck von Hysterie hervorrief, sondern der
natürliche Ausdruck eines Schmerzes war, der alle Menschen
gleichermaßen gepackt hielt, wenigstens für die Dauer
dieser Zeremonie.
Die Athener verteilten sich in einem Halbkreis um die Mauer, die
den Hügel umsäumte, stauten sich vor dem gähnenden
Eingang, erkletterte den Hügel und klammerte sich an die Äste
der Eichen. Die Bahre kam näher, dahinter sahen wir Menschen,
die Kostbarkeiten trugen: Krüge voller Öl, Ringe und
Waffen, Armreifen und Becher, königliche Siegel und Gegenstände,
unter denen wir sogar Schnitzwerk und Statuen aus Ägypten
erkannten.
Wir von der CHARIS nahmen unsere Plätze ein, so unauffällig
wie nur möglich.
Die Bahre verschwand im Eingang. Die Kostbarkeiten, der Besitz des
Toten, wurden hinterher getragen. Verschiedene Kisten, die allesamt
kostbar aussahen, folgten und wurden rund um das Grab abgestellt.
Unter Trommelschlägen und Klagen senkte man die Bahre mit dem
Leichnam in das vorbereitete Grab. Sämtlicher Besitz folgte und
wurde, nachdem man den Toten mit seinen Schilden und Waffen abgedeckt
hatte, über ihn getürmt. Über dem Holzstoß, der
nun den Leichnam bedeckte, wurden Trankopfer aus großen Krügen
dargebracht. Hohl und geheimnisvoll erscholl das Krachen
zersplitternder Krüge. Dann zerrte man frisch gewaschene und
kostbar geschmückte Opfertiere in den Dromos hinein, schlug
ihnen die Schädel mit zeremoniellen Bronzebeilen ein und schnitt
die Hälse durch. Dampfend sprudelte Blut aus den Adern, mischte
sich mit dem roten Wein und roch süß und widerlich.
Blutbesudelt kamen die Priester wieder aus dem Eingang hervor und
warfen sich zu Boden. Die Opfertiere wurden ausgeweidet, breite
Fettstreifen legte man um das harzige Holz des
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