PR TB 222 Die Andere Welt
ist salzig wie das Meer. Eines Tages werden nur noch
die höchsten Gipfel als Inseln übrigbleiben, Lepuha.«
»Es geht nur langsam«, hoffte Lepuha.
»Sicher, es geht langsam, dafür jedoch um so sicherer.
Die Zentralregierung weiß das auch, aber sie kann nicht viel
tun. Ihre Luftfahrzeuge erkunden die Länder im Westen, aber auch
dort wohnen Menschen, die uns feindlich gesinnt sind. Das ferne Land
im Osten gibt es nicht mehr, aber das Land im nahen Osten gibt es.
Die Inseln dort werden immer größer, und dort wohnen keine
Menschen. Eines Tages wird es sie auch dort geben.«
»Woher sollen sie kommen?«
Tofua sah seinen Sohn merkwürdig an.
»Woher sie kommen? Das fragst du noch?«
»Du meinst.?« Lepuha verstummte, denn nun wußte
er, was sein Vater angedeutet hatte. »Es gibt nur wenige
Luftfahrzeuge, und die Vapuri haben kein einziges, Vater.«
»Wir haben Kanus, vergiß das nicht.«
Viele Jahre nach diesem Gespräch starb Tofua in hohem Alter,
und Lepuha wurde Häuptling der Vapuri.
Immer weiter war Kasskara abgesunken. Das Riff der großen
Lagune war schon lange nicht mehr zu sehen, es lag bereits tief unter
der Wasseroberfläche. Knapp zwanzig Meter unter dem Dorf
brandete das Meer gegen die Steilküste und holte Stück für
Stück aus ihr heraus.
Längst war Kasskara zu einer riesigen Ansammlung von großen
und kleinen Inseln und Inselgruppen geworden. Weit in der
südöstlichen Ecke errichteten die Eingeborenen mit den
langen Ohren gewaltige Steingötter, um den gefräßigen
Ozean zu besänftigen, bis sie eines Tages in ihre Kanus stiegen
und nach Osten segelten. Nur wenige blieben zurück, bis auch das
restliche Land um sie herum versank.
Nur der höchste Gipfel blieb, ein fast dreieckiges Plateau.
Lepuhas Frau gebar einen Sohn, den sie Aron Arapu nannten. Schon
bald stellte es sich heraus, daß er ungewöhnliche Gaben
besaß, und nach dem
Gesetz von Kasskara, das trotz der geologischen Zerrissenheit des
Kontinents noch immer galt, mußte er sein Dorf verlassen und in
die Hauptstadt gehen, wo die Gottmenschen lebten und die Klügsten
des eigentlichen Volkes Dinge lehrten, die sie bisher nicht gekannt
hatten.
Lepuha sah seinen Sohn Aron Arapu niemals wieder. Er regierte noch
lange Zeit und erlebte auch die Tage noch mit, in denen das Meer sein
Dorf erreichte. Aber er hatte vorgesorgt.
Ganze Wälder waren abgeholzt worden, und man hatte eine
richtige Kanuflotte daraus gebaut. Niemand dachte daran, in das
höhergelegene Innere der Insel zu wandern, abgesehen von den
ganz alten Männern und Frauen.
Als die ersten Wellen die Hütten umspülten, brach die
Flotte auf. Die Segel wurden gesetzt, und der Wind trieb die Kanus in
nordöstliche Richtung davon. Bald versank die Insel, die einst
ein Teil von Kasskara gewesen war, unter dem Horizont der
untergehenden Sonne.
Schon nach wenigen Tagen geriet die Flotte in einen Sturm. Als das
Meer wieder ruhig und die Sicht besser wurde, hatten sich die Kanus
mit ihren Insassen aus den Augen verloren. In einzelnen Gruppen
segelten sie weiter, immer weiter nach Osten, wo das Neue Land liegen
mußte. Land, das aus dem Wasser emporstieg.
Niemand wußte, wie lange sie unterwegs waren, aber eines
Tages tauchten am fernen Osthorizont dunkle Punkte auf - die höchsten
Erhebungen des Neuen Landes. Die dunklen Punkte reichten von Süd
nach Nord den ganzen Horizont entlang. Es mußte ein gewaltiger
Kontinent sein, der sich da bildete.
Lepuha führte die restlichen Kanus, etwa drei Dutzend,
zwischen den ersten Inseln hindurch und gelangte auf einen riesigen
See, dessen gegenüberliegendes Ufer nur als Strich zu erkennen
war. Er nahm Kurs nach Norden, bis er eine günstige Stelle
gefunden zu haben glaubte.
Das Land war noch kahl und kaum bewachsen, auch schien die Sonne
nicht so heiß wie in Kasskara, aber die Luft war gut. In den
Buchten hatte sich bereits Humus gebildet. Erste Bäume reckten
ihre Gipfel in den Himmel.
»Es wird einmal gutes Land hier sein«, prophezeite
Lepuha und gründete das Dorf, das er Taotooma nannte.
Und wirklich: als Lepuha in hohem Alter starb, war aus dem Dorf
eine blühende kleine Stadt geworden, dessen Einwohner vom
Fischfang, der Landwirtschaft und dem Handel mit anderen
Niederlassungen lebte, die inzwischen entstanden waren. Die
gemeinsame Sprache von Kasskara war erhalten geblieben und
erleichterte den Kontakt.
Immer weiter sank der Spiegel des riesigen Sees ab, und es war
vorauszusehen, daß eines Tages die Verbindung zum
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