PR TB 224 Die Verschwundenen Von Arkona
einen kurzen Augenblick von seiner Beschäftigung
aufsah und ihn aus großen, treuherzigen Augen anlachte. Dann
widmete es sich wieder seinem Holz. Daß es das Bambusmark kaute
und wieder ausspuckte, hielt Shacheno für normal.
Plötzlich jedoch blieb der Häuptling wie angewurzelt
stehen. Das Tier, offensichtlich ein Nager, warf den Bambus weg,
richtete sich halb auf, hoppelte dann um die Hütte herum bis zu
der Sitzmatte. Ein Griff, ein Schwung, die Matte flog in hohem Bogen
davon, während das Tier mit den Vorderpfoten begann, den Sand
wegzuschaufeln.
Shacheno stockte das Blut in den Adern.
„Aufhören!” schrie er und fuchtelte wild mit
seinem freien Arm. Wie ein Blitz kam er herangeschossen, doch das
Tier ließ sich nicht vertreiben.
„Das Biest gräbt nach meinem Schatz, als könnte es
ihn riechen”, fluchte der Häuptling in sehr zivilisiertem
Jargon. Er packte die Bananentraube fester und warf. Jetzt gab es
keine andere Möglichkeit, das Tier würde erschrecken und
das Weite suchen, und hoffentlich nie wieder an diesen Platz
zurückkehren. Was aber dann kam, ließ den Häuptling
endgültig an seinem Verstand zweifeln.
Dicht hinter dem Pelztier stoppten die Bananen, als wären sie
gegen eine unsichtbare Mauer geprallt. Einen kurzen Moment hingen sie
bewegungslos in der Luft, dann flogen sie mit erheblich vergrößerter
Geschwindigkeit dorthin zurück, woher sie hergekommen waren. Ehe
Shacheno reagieren konnte, schlug ihm die gelbe Botschaft ins
Gesicht. Er verlor das Gleichgewicht, stürzte der Länge
nach hin.
Der Häuptling war so entsetzt, daß er sekundenlang
nicht wagte, sich zu bewegen. Erst als sich nichts rührte, schob
er die Traube langsam zur Seite und blickte sich um.
Das Pelzwesen hockte auf den Hinterbeinen und grub weiter, als
ginge es alles nichts an. Nichts verriet etwas von dem, was sich
soeben abgespielt hatte.
Shacheno kam entsetzt hoch. Die in der Luft verharrenden Bananen
ließen sich nicht aus seiner Erinnerung streichen. Da war Magie
mit im Spiel, durchzuckte es ihn, übersinnliche Kräfte.
Aber das Tier, konnte es damit zu tun haben?
Fragend sah er auf den Nager, der ihn keines Blickes würdigte.
Kam ihm das Wesen nicht vertraut vor? Er grübelte und grübelte,
fast glaubte er, das Tier geringschätzig lachen zu hören.
„Alle guten Geister von Lorsma”, flüsterte
Shacheno, „wenn ich nicht genau wüßte, wo ich bin,
glaubte ich, ich hätte den Verstand verloren.”
„Damit hast du nicht einmal unrecht!” erklang eine
zornige Stimme, von der Shacheno nicht feststellen konnte, woher sie
kam. Zitternd suchten seine Augen nach einem menschlichen
Wesen, das man anfassen konnte. Nichts, er war allein.
Stumm beobachtete der Häuptling, wie das Wesen weitergrub.
Täuschte er sich, oder begann das Pelztier zu schwitzen? „Bitte,
wer du auch bist”, sagte er stockend, „laß mir
meinen Schatz. Ich habe hier meine Jagdbeute vergraben, nimm sie mir
nicht. Ich tue alles für dich, aber schütte das Loch wieder
zu.”
Das Tier hielt in seinen Bewegungen inne und richtete seine Augen
auf ihn. Sie waren sehr groß und klug.
Es versteht mich! durchfuhr es Shacheno.
Das Tier erhob sich auf seine Hinterbeine, klopfte die Pfoten
gegeneinander und zeigte seinen einzigen Nagezahn. „Wirklich?”
fragte es mit piepsender Stimme. „Ich nehme dich beim Wort.
Häuptling ohne Volk.”
Shacheno sank auf die Knie und beugte den Oberkörper hinab,
bis die Stirn den heißen Sand berührte.
„Bitte, großer Ashavira, Gott der Tiere und der
Fische, verzeihe mir, wenn ich dich bei deiner Arbeit gestört
habe”, bedeutete Shacheno mit geschlossenen Augen. „Alles
gehört dir, ich gebe dir meinen Schatz, aber laß mich
leben. Ich entferne mich sofort!”
Ohne die Augen zu öffnen, sprang er auf, drehte sich um und
rannte dorthin, wo er hergekommen war. Er wußte nicht, was er
tat. Der Schreck saß zu tief. Hinter sich hörte er die
Stimme: „Armer Teufel”, sagte der Mausbiber, und es klang
gar nicht ernsthaft.
Shacheno sah sich in seinen Bewegungen gehemmt. Obwohl er
versuchte, seine Beine zu bewegen, schienen sie plötzlich
eingefroren. Sein ganzer Körper war zu Unbeweglichkeit verdammt.
Der Häuptling fühlte, wie der Boden unter seinen Füßen
wich und stieß einen heiseren Schrei aus. Mit Augen, in denen
der Wahnsinn leuchtete, verfolgte er, wie er langsam zur Hütte
zurücktrieb, dicht vor dem Pelztier aufsetzte. Ungeheure Kräfte
schienen ihn aufrechtzuhalten. Und
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