PR TB 242 Herr Der Hundert Schlachten
ab und
näherten uns langsam dem Delta des Nils. In Tyros gingen wir an
Land und wollten den Rest des Weges im Sattel zurücklegen.
Die gnadenlose Auseinandersetzung bei Issos hatte gewaltige
Folgen. Viele davon würden sich erst nach geraumer Zeit
auswirken, nämlich dann, wenn die Nachrichten auch in die
entlegenen Winkel der beiden Reiche durchgesickert waren. Alexander
verfolgte Darius mehr als fünf Parasangen weit, fing ihn aber
nicht mehr. Als er gegen Mitternacht mit schlecht versorgter
Dolchwunde im Schenkel ins Lager zurückkam, wurde er in das Zelt
des Darius geführt. Unerhörter, nie gesehener Luxus empfing
ihn. Die Kampfgefährten hatten nicht nur mehr als dreitausend
Talente in Gold und Silber erbeutet, sondern auch die Gattin des
Darius, deren sechsjährigen Sohn, die Mutter des Perserkönigs
und eine Frau von rund dreißig Jahren, Barsine, die Frau des
Heeresführers Memnon gefangengenommen. Alexander behandelte die
Frauen mit unnachahmlicher Großzügigkeit, nahm Barsine
offiziell zur Geliebten und kümmerte sich sofort um sein
Heer.
Ein ägyptischer Verbündeter des Persers,
Semtautefnechet, rettete sein Leben und flüchtete von Issos
durch zahlreiche Länder zurück nach Ägypten.
Sabakes, der Satrap Ägyptens, floh mit achttausend Kriegern
zurück nach Memphis und wurde samt der Mehrzahl seiner Soldaten
vom neuen Satrapen Mazakes umgebracht.
Alexander, jeglicher Geldsorgen ledig, entschloß sich,
seinen Plan weiterzuverfolgen. Darius würde zu einer weiteren
Entscheidungsschlacht rüsten, zweifellos. Er, Alexander,
besetzte die nächsten Städte an den Küsten des
Perserreiches. Arados, Byblos und Sidon traten dem makedonischen
Reich ohne Umstände bei. Alexander strebte tatsächlich ein
dauerhaftes, gefestigtes Imperium an. Mit der kampflosen Eroberung
der Küstenstädte vermochte Alexander zur See die persische
Flotte endgültig zu schlagen. Der Sohn des Stadtkönigs von
Arad überreichte Alexander die goldene Unterwerfungskrone.
Anfang des vierten Mondes des kommenden Jahres stand Alexander vor
Tyrus.
Die mächtigste Küstenstadt, mit Karthago verbündet,
verweigerte die Unterwerfung. Als Alexander dem Gott Melkart opfern
wollte (den die Griechen mit Herakles, dem Ahnen Alexanders
gleichsetzten), sagten die Tyrer kalt, er solle dies in einem Tempel
außerhalb der Inselstadt tun. Karthago versprach der Hafenstadt
Waffenhilfe.
Alexanders Zorn war unbeschreiblich. Er schwor, Tyrus zu
vernichten. Die Belagerungsmaschinen des thessalischen Griechen
Diades wurden herbeigeschafft und zusammengesetzt. Für mich war
es klar, daß selbst Alexander die Stadt nicht erobern konnte.
NAUKRATIS IM NILDELTA, IN DER KARAWANSEREI:
Binnen weniger Monde waren wir die besten Freunde der Kaufleute
geworden. Nachdem wir Issos verlassen hatten und bei Gaza statt Tyrus
an Land gegangen waren, führte uns der Weg entlang der Küste
in kurzen Etappen ins Nilland. Mehrmals hatten wir Handelskarawanen
gegen räuberische Nomaden helfen müssen, und einer der
Karawanenherren lud uns nach Naukratis ein. Dort stellte er seine
Handelswaren zusammen. Naukratis war vor rund drei Jahrhunderten von
ionischen, also griechischen Söldnern besiedelt worden und hatte
sich seit dieser Zeit zu einem Zentrum des Handwerks und Handels
entwickelt. Allein mit unseren detaillierten Karten vermochten wir
den Führern der Karawanen sichere Straßen zu zeigen. In
Naukratis allerdings traten wir ohne unsere raffinierten Rüstungen
auf.
Aus dem staubigen Hof ertönte ein hallender Ruf.
»Atalantos! Charis! Ein Bote mit einer seltsamen Neuigkeit.«
Charis und ich hatten versucht, auf dem flachen Dach des
Nebenhauses eine genaue Karte zu zeichnen. Hotepthot, der Kaufherr,
wollte den sichersten Weg nach Sardes wissen. Ich ging unter dem
Sonnensegel an die Brüstung und blickte hinunter.
»Wie lautet die Neuigkeit?«
»Komm herunter«, rief Atholan und winkte. »Vielleicht
gefällt es dir, was er zu berichten hat.«
Ich ging die Treppe hinunter ins grelle Sonnenlicht. Um uns herum
herrschte die lärmende Betriebsamkeit der Karawanserei. Pferde,
Sklaven, Treiber, Unmengen gestapelter Waren aus allen Teilen des
Nillands, Kamele und Esel, Tröge voll Wasser und Mengen von
Futter, ein ständiges Kommen und Gehen und dazu das Rascheln und
Knistern der Palmwedel - wir fühlten uns, weitab des
makedonischen Schlachtenlärms, so wohl wie kaum je zuvor.
Vor mir, flankiert von Chapar und Athyra, stand ein
sonnenverbrannter Ägypter. Er hob
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