PR2632-Die Nacht des Regenriesen
forschen.«
»Das ist richtig«, gab die Maschine zu.
»Woran leiden diese Menschen?«, fragte Margaud mit einer Geste, die nicht nur die Frau vor ihnen, sondern alle Besatzungsangehörigen in der künstlichen Landschaft und auf dem Schiff umfasste.
»Ich weiß nicht, ob ich von Leiden sprechen sollte«, sagte der Medorobot. »Zwar weisen die Körper verschiedene Anzeichen auf, die sich als Symptome einer Krankheit deuten ließen, aber diese Merkmale sind von äußerst kurzer Verweildauer. Eine Diagnose war mir bislang nicht möglich.
Allerdings zeigen sie alle Anzeichen tief gehender körperlicher Erschöpfung, einhergehend mit einem Eisenmangel im Hämoglobin. Diesen Eisenmangel können wir leicht beheben. Schließlich enthält ein menschlicher Körper lediglich drei bis fünf Gramm Eisen. Die Ursache des Mangels haben wir noch nicht erforschen können. Der Körper unserer Patienten ist mit Eisen insgesamt ausreichend versorgt. Nur das Hämoglobin scheint betroffen.«
Margaud nahm zur Kenntnis, dass die Anämie kein gewichtiges gesundheitliches Problem darstellte. Was aber wollte der Roboter ihnen eigentlich sagen? »Du meinst: Sie sind einfach von der Arbeit geschwächt oder übermüdet?«
»Geschwächt oder übermüdet: ja. Ob von der Arbeit, wissen wir nicht.«
»Du hast sie nicht etwa einer anderen Krankheit wegen ins Koma versetzt?«
»Nein. Ich kann nichts tun.«
»Du kannst nichts tun?«
»Außer, sie mit Eisenpräparaten zu versorgen und in Thermofolien zu wickeln, damit sie nicht irreversibel auskühlen.«
»Warum ist es so kalt in der Landschaft?«
»Ich weiß es nicht«, bekannte der Medoroboter. »Vieles spricht für eine Dysfunktion der internen Klimasteuerung.«
»Ich möchte einen der Schläfer wecken«, sagte Margaud.
»Das wird nicht leicht sein«, sagte der Medoroboter. »Ihr Schlaf ist nur quasi-natürlich. Er ist die Reaktion auf eine quasinormale Müdigkeit.«
Luna beugte sich über das keramisch starre Gesicht der Schläferin. »Das müsste eine sehr tiefe Müdigkeit gewesen sein, nicht wahr?«
»Das ist richtig. Die Melatonin-Sättigung übersteigt jede bei Menschen bislang gemessene Konzentration.«
»Erklär mir das«, verlangte Margaud. Sie wusste, dass Melatonin ein Hormon war, das – vereinfacht gesagt – Müdigkeit hervorrief und den Tag-Nacht-Rhythmus des Menschen bestimmte. Melatonin ist sozusagen der Stoff, aus dem der Schlaf gemacht ist.
Der Medoroboter sagte: »In menschlichen Körpern wird das Melatonin von der Zirbeldüse, der Netzhaut und dem Darm gebildet. In der Nacht erhöht sich die Melatonin-Konzentration um den Faktor zehn. Die Melatonin-Konzentration bei diesen Schläfern liegt vom normalen Tageswert aus gesehen beim Faktor 32.«
»Bitte?«, fragte Miravete. »Das ist doch nicht normal!«
»Wir bezeichnen den hier geschlafenen Schlaf deswegen auch als quasinormal«, belehrte ihn die Maschine.
»Und die Müdigkeit als quasinormale Müdigkeit«, erinnerte Luna.
»Das ist korrekt«, bestätigte der Roboter.
»Wie können ihre Organe derart viel Melatonin produzieren?«, wollte Margaud wissen.
»Wahrscheinlich gar nicht«, sagte die Maschine.
Margaud stutzte. »Wurde ihnen das Hormon denn von außen zugeführt?«
»Nein«, sagte der Medoroboter. »Es entsteht ohne Unterbrechung in ihren Körpern. Aber es wird nicht nur in den genannten Organen synthetisiert, sondern diffus.«
»Diffus?«
»Überall.«
»Ist es lebensgefährlich?«, fragte Margaud.
»Nein«, sagte die Maschine. »Ich kann es allerdings nicht garantieren. Uns liegen keine Präzedenz- oder Referenzfälle vor, aber der Zustand der Schläfer ist stabil.«
»Könnt ihr die Produzenten des Melatonins nicht verorten?«, wunderte sich Margaud. »Ist es ein Virus?«
»Unseren Kalkulationen nach sind die Produktionsstätten bedeutend kleiner als Viren. Kleiner als Viroide, Prionen oder andere subzelluläre Erreger.«
Margaud schüttelte den Kopf. »Das heißt im Klartext: Ihr könnt diese Produktionsstätten, wie und was immer sie sind, nicht bekämpfen?«
»Sie zu bekämpfen überschreitet unsere Kompetenzen«, sagte die Maschine. »Sie unterlaufen unsere therapeutischen Methoden.«
»Wenn ihr schon nicht die Produktionsstätten bekämpfen könnt – gäbe es keine Möglichkeit, das Melatonin auszumerzen?«, fragte Luna.
»Die gäbe es«, sagte der Medoroboter. »Ich müsste das gesamte Körpergewebe der Befallenen auf 117 Grad erwärmen oder es mit Methanol fluten.«
»Das
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