Pralinenherz
Ein Blick auf ihre Armbanduhr ließ Hanna aufschrecken, sie hastete zu ihrem Auto und holte bei Herrn Wagner die Torte und die anderen Leckereien ab. Bei einem Partyservice hatte sie Snacks bestellt, auch mit dem Wissen, dass ihr dieses Vergehen von Frau von Birkenhausen noch lange nachgetragen werden würde. Als Frau, vor allem als Olivers Freundin, sollte sie gefälligst selbst für das leibliche Wohl sorgen, egal ob Überraschungsparty oder nicht. Dass sie ja schlecht stundenlang in der Küche kochen und backen konnte, wenn es doch eine Überraschungsparty war, verstand diese Frau einfach nicht. Am liebsten würde sie mit Oliver ganz alleine feiern. Essen gehen, kuscheln und sich eine Schleife um die Hüfte binden, damit er sie auspacken konnte.
Sie steuerte ihren geliebten Flitzer durch die Stadt und sah die ergraute Dame bereits wütend hin und herlaufen, als sie vor dem Wohnkomplex einen Parkplatz fand. Hanna atmete erneut tief ein und aus und umklammerte das Lenkrad wie eine Würgeschlange ihre Beute, bevor sie aus dem Wagen stieg.
„Hanna! Na endlich! Wie lange wollten Sie uns denn noch warten lassen?!“, keifte Frau von Birkenhausen los und tippelte mit ihren schicken Schühchen auf Hanna zu. Ihr Rock war so eng, dass sie nur kleine Schritte machen konnte, sehr zu Hannas Freude, die sofort Reißaus nahm und zum Kofferraum ging. Jede Sekunde ohne die Nähe dieser Frau war eine Wohltat!
„Frau von Bi...“, murmelte Hanna mit einem gequälten Lächeln, wurde aber sogleich unterbrochen.
„Wir haben schon halb vier!“ Dabei schlug Olivers Mutter wild mit ihrem manikürten Zeigefinger auf ihre goldene Armbanduhr, die exakt 15.27 Uhr anzeigte.
„Ja, ich wei...“ Hanna versuchte alles, um die Situation zu retten, als sie den Kofferraum öffnete, doch Frau von Birkenhausen war kaum zu bremsen. Ihr werter Gatte stand an seinem schwarzen Wagen, streichelte ihn andächtig, als wollte er das Auto beruhigen. Schließlich fuhren sie knapp über eine Stunde zu Olivers Wohnung, da musste der Wagen sicherlich unter ihrer schrillen Stimme leiden, was ihr Mann wohl wusste. Das arme Auto. Und wer bemitleidete sie?
Hannas Blick verweilte kurz auf Herrn von Birkenhausen und sie zuckte erneut zusammen, als der Schwiegerdrachen sie beiseite drängte.
„Ach, das wird doch alles kalt! Sie haben ja wirklich Nerven! Erst lassen Sie uns hier warten und dann kühlt auch noch das Essen aus!“
„Das sind extra Thermo...“, murmelte Hanna, die sich hilfesuchend nach Olivers Freunden umsah, die eigentlich tragen helfen sollten.
„Papperlapapp! Kein Wunder, dass mein Oliver so dünn geworden ist. Schlimm genug, dass er diesen Fraß zu essen bekommt und Sie nicht in der Lage sind, ihn selbst zu verköstigen. Nein! Jetzt wird auch noch alles kalt!“
„Entschuldigen Sie bitte, Frau Beh... äh Frau von Birkenhausen!“ Hanna erschrak selbst, denn beinahe hätte sie einen falschen Namen verwendet. Die zwei waren sich aber auch zu ähnlich!
„Nicht faul herumstehen und stottern, tragen Sie wenigstens schon mal die Sachen nach oben. Als Olivers … Geliebte oder wie auch immer ich Sie bezeichnen soll, können Sie ja wenigstens einen kleinen Beitrag für seine Zufriedenheit leisten!“
Hanna faltete ihre Hände, räusperte sich und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass doch endlich jemand auftauchen würde, um diese brenzlige Situation zu neutralisieren.
„ Die anderen sind sicher gleich da, dann tragen wir alles hinauf und überraschen ihn, wenn alles dekoriert ist. So wie wir es abgesprochen ha...“ Hanna versuchte sie daran zu erinnern, was vereinbart war. Scheinbar war es der senilen Schachtel entfallen.
„Davon weiß ich nichts! Dekorieren müssen wir auch noch? Sie haben ja überhaupt nichts geplant! Wenn ich das gewusst hätte! Alles muss ich selber machen!“ Theatralisch legte sie ihren Handrücken gegen die durch Falten zerknitterte Stirn und drehte sich zu ihrem Mann herum, der noch immer das Auto streichelte.
„Rüdiger! Rüüüdiger!“, fauchte Frau von Birkenhausen, als riefe sie einen streunenden Hund, der verbotenerweise in der Öffentlichkeit urinierte. Rüdiger schreckte zusammen und wandte sich seiner Frau zu, lief dabei zögerlich ein paar Schritte in ihre Richtung.
„Ja Hilde, meine Liebste?“, sprach er, beinahe beruhigend und wie in Trance, als sei er ein Ritter, der einen Drachen zu besänftigen versuchte. In diesem Moment bogen zwei Autos in die Einfahrt und Hanna seufzte
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