Pretty Daemon
gelungen, Stuart seit dem Jahrmarkt kein einziges Mal anzusehen. Sie starrte entweder auf den Boden oder in die Luft. Momentan konzentrierte sie sich auf ihren kleinen Bruder und hatte ihrem Stiefvater den Rücken zugedreht.
»Zwei«, sagte sie. Sie hielt zwei Finger in die Höhe, um ihm zu zeigen, was sie meinte. »Leg zwei zurück.«
Timmy runzelte die Stirn. »Aber ich will gewinnen.«
Ich warf einen Blick auf Stuart. Normalerweise grinsten wir uns in solchen Momenten wissend an. Doch er sah nicht einmal in meine Richtung. Er betrachtete vielmehr Allies Hinterkopf. In seiner Miene spiegelten sich Verwirrung und Schmerz wider – eine Mischung, die mir fast das Herz brach.
Es wäre wahrscheinlich einfacher gewesen, wenn Stuart von uns verlangt hätte, die Karten offen auf den Tisch zu legen. Wenn er Allie und mich auf dem Jahrmarkt beiseite gezogen und uns beschimpft hätte. Ich hätte ihn verstanden. Ehrlich, es wäre sein gutes Recht gewesen.
Doch er hatte nichts dergleichen getan.
Stattdessen hatte er uns beide angeblickt und erklärt, dass wir uns später zu Hause sehen würden. Dann war er verschwunden und hatte mich voller Schuldgefühle und Allie mit Tränen in den Augen zurückgelassen.
Laura und ich versicherten ihr auf dem Nachhauseweg immer wieder, dass es nicht ihre Schuld sei. Ich hatte Allie erlaubt, trotz Hausarrest auf den Jahrmarkt zu gehen. Stuart war also auf mich wütend. Als wir schließlich zu Hause eintrafen, schien sie etwas ruhiger, doch in Stuarts Gegenwart zeigte sie sich so steif, wie ich das noch nie erlebt hatte.
Was mich betraf, so hätte ich mich am liebsten übergeben. Ich hatte versucht, die Beziehung zwischen meiner Tochter und ihrem Vater wieder aufleben zu lassen. Doch es war mir nur gelungen, in Allies Beziehung zu ihrem Stiefvater ein riesiges Loch zu reißen. Dabei war es Stuart, mit dem sie zusammenwohnte und der es gemeinsam mit mir auf sich genommen hatte, sie durch Pubertät und Teenagerzeit zu begleiten.
Ich wollte keinen der beiden Männer in meinem Leben verletzen. Aber ich wusste auch, dass mir Allies Wohlergehen am wichtigsten war. Sie wirkte ziemlich bedrückt, und ich wusste nicht, wie ich das ändern konnte. Mir war nur klar, dass ich einen Riesenfehler begannen hatte und es irgendwie schaffen musste, das wieder auszubügeln.
Timmy klammerte sich noch immer an die zwei Kirschen, die er um keinen Preis hergeben wollte.
»Mach schon, Timmy«, sagte ich sanft. »Häng die Kirschen wieder an den Baum. Vielleicht gewinnst du sie ja beim nächsten Mal.«
Er zog einen Schmollmund, tat aber, wie ich ihn geheißen hatte. Ich betrachtete das bereits als einen großen Fortschritt, wenn man bedachte, dass er noch in der vergangenen Woche das Spielbrett vor Wut durch das ganze Zimmer geschleudert hatte.
Was soll ich sagen? Der Junge wollte einfach gewinnen.
Um des lieben Friedens willen gewann er diesmal tatsächlich. Sein Pfeil landete immer auf der richtigen Stelle, und er konnte genügend Kirschen pflücken, während Allie und ich uns mit Vögeln, Hunden und umgefallenen Körben herumschlagen mussten.
»Gewonnen! Gewonnen!« Der kleine Mann sprang auf und marschierte siegesbewusst durch die Küche. Seine nackten Füße klatschten auf die Fliesen, während er auf seinen Schrank zusteuerte. Dort holte er ein Kuchenblech heraus, auf das er im Takt zu seinem Siegesgeschrei zu trommeln begann.
»Nicht!«, rief Allie. »Er soll auf der Stelle aufhören! Er ist zu laut! Zu laut!« Sie sprang auf, rannte zu Timmy und hob ihn hoch. Dabei wirbelte sie den Jungen samt Kuchenblech so sehr durch die Luft, dass er laut lachen musste. »Bist du still, wenn ich dich wieder absetze?«
»Nein!«
»Bist du still, wenn ich dich wieder absetze?«
»Nein!«
»Und wenn du Schokolade bekommst? Bist du dann still?«
»Allie!«
»Ja!«
»Abgemacht.« Sie stellte ihn auf die Füße und sah mich dann achselzuckend an. »Was bleibt einem anderes übrig? Ich hatte keine Wahl.«
Während sie ein Päckchen mit Schokoladenlinsen aus dem Gefrierschrank holte, sah ich heimlich zu Stuart hin. Zu meiner Erleichterung lächelte er.
»Guck, Daddy!«, rief Timmy und rannte zu seinem Vater, um ihm seine Belohnung zu zeigen. »Willst du auch?«
»Ja gern«, erwiderte Stuart und zog ihn zu sich auf den Schoß. »Sehr gern.« Er hielt seinen Sohn eine Weile fest, so dass ich woanders hinsehen musste, um nicht in Tränen auszubrechen. Der Anblick der beiden traf mich mitten ins
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