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Pretty - Erkenne dein Gesicht

Pretty - Erkenne dein Gesicht

Titel: Pretty - Erkenne dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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zwischen all diesen schlafenden Körpern Spießruten zu laufen. Hier draußen in der Kälte spürte sie ihr verletztes Handgelenk wieder und ihre Muskeln, die nach der langen Wanderung des Vortags schmerzten. Vielleicht war die menschliche Wärme in der Hütte ja doch nicht so schlecht gewesen, aber jetzt war erstmal etwas anderes dran.
    Um die Latrine zu finden, konnte Tally ihrer Nase folgen. Sie bestand einfach nur aus einem Graben und der Gestank sorgte dafür, dass sie sich zum ersten Mal freute, im Winter weggelaufen zu sein. Wie konnten die Leute hier draußen im Sommer leben?
    Tally hatte natürlich schon andere Latrinen gesehen. Aber die Smokies behandelten ihren Abfall, sie benutzten selbsterneuernde Nanos, die sie aus den Recyclingfabriken der Stadt besorgt hatten. Die Nanos zersetzten das Abwasser und leiteten es sofort zurück in den Boden, und auf diese Weise entstanden die köstlichsten Tomaten, die Tally jemals gegessen hatte. Und wichtiger noch, in den Latrinen entwickelte sich kein Gestank. Die Smokies waren fast alle in Städten geboren worden, egal wie sehr sie die Natur liebten. Sie waren die Produkte einer technologischen Zivilisation und schwärmten nicht für Gestank.
    Dieses Dorf aber war etwas ganz anderes, fast wie die sagenumwobenen Prä-Rusties, die vor der Hightech-Zeit gelebt hatten. Von welcher Art Kultur mochten diese Leute abstammen? In der Schule hatte Tally gelernt, dass die Rusties alles in ihren ökonomischen Rahmen eingepasst und jede andere Lebensweise zerstört hatten - und obwohl davon nie gesprochen wurde, wusste Tally, dass die Specials so ungefähr dasselbe machten. Also, woher kamen diese Leute? Waren sie nach dem Zusammenbruch der Rusty-Zivilisation zu dieser Lebensweise zurückgekehrt? Oder hatten sie schon vorher in der Wildnis gelebt? Und warum hatten die Specials sie in Ruhe gelassen?
    Wie immer die Antworten auf diese Fragen aussehen mochten, Tally sah ein, dass sie diese Latrine nicht benutzen konnte - dazu war sie doch zu sehr Städterin. Sie wanderte tiefer in den Wald. In Smoke hätte dieses Verhalten Stirnrunzeln ausgelöst, aber Tally hoffte, dass für junge Gottheiten hier im Dorf andere Regeln galten.
    Als sie zwei Wachposten am Dorfrand zuwinkte, nickten die leicht nervös, wandten ihre Blicke ab und versteckten unbeholfen ihre Keulen hinter dem Rücken. Die Jäger hatten noch immer ein wenig Angst vor ihr, sie schienen sich zu fragen, ob sie nicht doch Ärger bekommen würden, weil sie versucht hatten Tally den Schädel einzuschlagen.
    Schon nach wenigen Metern war das Dorf hinter den Bäumen verschwunden, aber Tally hatte keine Angst, sich zu verirren. Vereinzelte Windstöße trugen noch immer den schrecklich intensiven Gestank der Latrine zu ihr, und Tally war noch nahe genug, um die Wachen herbeizurufen, falls sie sich verirrte.
    In der hellen Sonne schmolz der Nachtfrost und fiel als steter Dunst zu Boden. Der Wald ließ leise Geräusche hören, wie das alte Haus von Tallys Eltern, wenn sie darin allein gewesen war.
    Die Schatten der Blätter verzerrten die Umrisse der Bäume, ihre Formen wurden vage und jeder Windstoß ließ in Tallys Augenwinkel Bewegungen entstehen. Das Gefühl, beobachtet zu werden, das sie schon vom Vortag kannte, stellte sich wieder ein. Sie suchte sich eine passende Stelle und entleerte schnell ihre Blase.
    Aber sie kehrte nicht sofort zurück. Es hatte keinen Sinn, ihre Fantasie mit ihr durchgehen zu lassen. Eine Minute des Alleinseins war ein Luxus hier. Sie fragte sich, was Liebespaare unternahmen, wenn sie allein sein wollten, und ob irgendjemand im Dorf Geheimnisse über längere Zeit bewahren konnte.
    Während des vergangenen Monats hatte sie sich daran gewöhnt, jede Minute mit Zane zu verbringen. Sie spürte auch jetzt, dass er nicht da war, ihr Körper sehnte sich nach seiner Wärme. Und das Schlafquartier mit einem Haufen Fremden zu teilen war ein seltsamer und unbefriedigender Ersatz.
    Plötzlich zuckten Tallys Nerven und sie erstarrte. Irgendwo am Rand ihres Blickfeldes hatte sich etwas bewegt, das nicht Teil der natürlichen Veränderungen von Sonnenschein und Blättern und Wind war. Ihr Blick suchte die Bäume ab.
    Ein Lachen dröhnte durch den Wald.
    Es war Andrew Simpson Smith, der sich mit strahlendem Lächeln durch das Unterholz drängte.
    "Hast du mich bespitzelt?", fragte Tally.
    "Bespitzelt?" Es klang so, als ob er dieses Wort noch nie gehört hätte, und Tally fragte sich, ob die Idee des Ausspionierens an

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