Pretty Little Liars - Herzlos: Band 7
lange sprachlos an. In der Küche ließ jemand ein Tablett fallen, aber sie registrierte es nicht einmal.
Mrs Hastings griff über den Tisch und berührte Spencers Hand. »Ich hoffe, es belastet dich nicht zu sehr, dass
ich dir das gesagt habe. Ich wollte einfach, dass du die Wahrheit erfährst.«
»Nein«, krächzte Spencer. »Mir ist jetzt vieles klarer. Ich bin froh, dass du es mir gesagt hast. Aber wieso bist du nicht wieder an die Uni gegangen, als Melissa alt genug war?«
»Na ja …«, sagte Mrs Hastings achselzuckend. »Wir wollten dich … und meine Zeit war einfach vorbei.« Sie beugte sich vor. »Bitte sag Melissa nichts«, bat sie. »Du weißt, wie empfindlich sie ist. Sie hätte sicher Angst, dass ich ihr das heimlich vorwerfe.«
Tief in ihrem Inneren spürte Spencer einen winzigen Triumph. Sie war also die Tochter, die sie sich gewünscht hatten … und Melissa war ein Unfall gewesen.
Vielleicht war dies ja die Vertuschungsaktion, von der A. gesprochen hatte, obwohl es nichts mit Ali zu tun zu haben schien oder damit, dass Mrs Hastings sie nicht leiden konnte. Aber als Spencer nach einem Stück Fladenbrot griff, blitzte ein Fetzen verdrängter Erinnerung an den Abend von Alis Verschwinden in ihrem Gedächtnis auf. Nachdem Ali sie in der Scheune sitzen gelassen hatte, entschieden sich Spencer und die anderen, nach Hause zu gehen. Emily, Hanna und Aria riefen ihre Eltern an, damit die sie abholten. Spencer ging zurück ins Haupthaus und floh in ihr Schlafzimmer. Unten lief der Fernseher – Melissa und Ian hingen vor der Glotze –, aber ihre Eltern waren nirgends zu sehen. Das war merkwürdig, denn normalerweise erlaubten sie nicht, dass Spencer und Melissa unbeaufsichtigt Jungenbesuch hatten.
Spencer hatte sich in ihre Decke gekuschelt und darüber geärgert, wie mies der Abend gelaufen war. Viel später weckte irgendetwas sie auf. Als sie in den Flur ging und übers Geländer spähte, sah sie zwei Gestalten im Foyer. Die eine war Melissa, die immer noch das graue Flattertop und den schwarzen Seidenhaarreif trug, den sie am Abend angehabt hatte. Sie unterhielt sich in einem aufgebrachten Flüsterton mit Mr Hastings. Spencer konnte nicht viel von ihrer Unterhaltung verstehen, nur dass Melissa wütend und ihr Vater defensiv klang. Irgendwann schrie Melissa wütend: »Ich glaube das einfach nicht!« Ihr Vater erwiderte etwas darauf, das Spencer nicht verstand. »Wo ist Mom?«, fragte Melissa mit hysterischer Stimme. »Wir müssen sie finden!« Dann eilten sie zur Küche, Spencer schloss schnell ihre Zimmertür und huschte zurück ins Bett.
»Spence?«
Sie zuckte zusammen. Ihre Mutter sah sie mit großen, runden Augen an. Als Spencer auf ihre Hände blickte, die ihr Wasserglas umfassten, sah sie, dass sie heftig zitterten.
»Alles okay?«, fragte Mrs Hastings.
Spencer öffnete den Mund, schloss ihn dann aber schnell wieder. War das eine echte Erinnerung oder ein Traum gewesen? War ihre Mutter an jenem Abend ebenfalls unauffindbar gewesen? Aber es war sehr unwahrscheinlich, dass sie Alis wahren Mörder gesehen hatte. Wenn, dann wäre sie sofort zur Polizei gegangen. Sie war nicht herzlos – und sehr gesetzestreu. Und wieso sollte sie so etwas vertuschen wollen?
»Wo warst du gerade?«, fragte Mrs Hastings und legte den Kopf zur Seite.
Spencer drückte ihre weichen, mit Paraffin eingecremten Handflächen aneinander. Da sie beide gerade so ehrlich zueinander waren, konnte sie vielleicht darüber sprechen. »I-ich habe an den Abend gedacht, an dem Ali verschwunden ist«, sagte sie schnell.
Mrs Hastings drehte an dem zweikarätigen Diamantstecker in ihrem rechten Ohr und dachte nach. Dann runzelte sie die Stirn und die Falten um ihren Mund wirkten wie gemeißelt. Sie schaute auf ihren Teller.
»Geht’s dir denn gut?«, fragte Spencer schnell. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Mrs Hastings’ Mund verzog sich zu einem knappen Lächeln. »Das war ein schrecklicher Abend, Schatz.« Ihre Stimme wurde eine Oktave tiefer. »Lass uns nie wieder davon sprechen.«
Dann drehte sie sich um und winkte der Kellnerin, sie könne ihre Bestellung aufnehmen. Sie wirkte gelassen, als sie den asiatischen Hühnersalat mit Sesamdressing bestellte, aber Spencer bemerkte, dass sie die Hand um den Griff ihres Messers gekrampft hatte und mit dem Zeigefinger langsam an der scharfen Kante der Klinge entlangfuhr.
Kapitel 12
AUCH EIN IRRENHAUS BRAUCHT EINE IN-CROWD
Hanna stand in der Cafeteria des Sanatoriums
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