Prickel
war rot und steif vor Rost und bildete ein bizarres Muster, der Umrißzeichnung einer Balkanrepublik nicht unähnlich.
»In so einem Zustand muß sie ja abspringen«, grummelte Kurt, warf sie in eine Stahlschüssel, sprühte etwas aus einer Dose und goß etwas aus einer Kanne darüber, rührte einen Moment lang mit einem Schraubenzieher, zog sie dann wieder heraus, wischte sie mit einem alten Lappen ab und ließ sie erneut von seinem Finger baumeln. Schwarz, ölig glänzend und glatt hing sie schön senkrecht und wiegte sich leicht in ihren Gliedern hin und her.
»So«, brummte er laut und - wie ich fühlte - nicht zuletzt auch an meine Adresse, »so hat eine Kette auszusehen.« Mit zwei Handgriffen hatte er sie wieder aufgezogen, das Hinterrad eingebaut und das Rad wieder auf den Boden gestellt.
»Und jetzt schwirr ab«, sagte er noch wenig freundlich, ehe er sich ohne eine Miene zu verziehen an mich wandte.
»Lange nicht gesehen«, stellte er nüchtern fest. »Nicht seit der letzten Reparatur, wenn mich nicht alles täuscht«, fuhr er fort. »Was war das noch gewesen?« Er rieb sich das Kinn. »Einmal Bremsbeläge hinten, nicht wahr? Mit Trommeln ausdrehen, wenn ich mich nicht täusche? Einhundertfünfzig unter Brüdern, richtig? Und um die zu bezahlen, bist du extra hier raus gekommen?« Das sei aber nett, fand er, und hielt mir die offene Hand hin.
»Hatte ich doch glatt vergessen«, gestand ich. Und das war die Wahrheit. Ich hätte sonst erst noch woanders nachgefragt. So aber ... - Boff!, wieder pleite.
»Weshalb ich eigentlich hergekommen bin«, begann ich, als es >füdeldidü< aus Kurts Blaumann machte. Seufzend griff er hinein und förderte, >füdeldidü<, ein Handy zutage.
»Man kommt zu nichts mehr«, sagte er kopfschüttelnd, bevor er das Ding aufklappte und sich meldete. Von einer meiner Vorahnungen geplagt, fuchtelte ich mit beiden Händen abwehrend vor seinem Gesicht herum und versuchte, >Wenn es für mich ist, sag, ich bin nicht da!< in die Gebärdensprache zu übersetzen. Damit stieß ich bei Kurt auf taube Augen.
»Ja, der ist hier«, sagte er ungerührt und reichte mir den Apparat. »Veronika«, bestätigte er meine insgeheimen Befürchtungen. »Auch so eine, die sich hier nicht mehr blicken läßt, seit sie zu ein bißchen Geld gekommen ist«, murmelte er mißmutig im Vorbeigehen, meine wütenden Grimassen, stimmlosen Flüche und gestenreichen Anklagen kalt ignorierend.
»Jaa?« meldete ich mich, aller inneren Unlust zum Trotz triefend vor geheuchelter Freundlichkeit. Auf irgendwas mußte ich jetzt machen, und so hatte ich mich blitzschnell für >ahnungslos, vergeßlich< entschieden, und daß, obwohl ich ahnte, daß ich nicht weit damit kommen würde. »Was haben wir denn auf dem Herzen, Mädchen?« gurrte ich.
»Als ob du das nicht genau wüßtest!« stach mir Veronikas Stimme ins Ohr.
»Örrm?« machte ich auf ahnungslos, vergeßlich.
»Tu nicht so blöd!« fauchte es aus dem Hörer. »Mit der Tour kommst du bei mir nicht weit!« Hatte ich's nicht geahnt? Trotzdem zieht man sowas dann ja immer noch ein bißchen weiter durch, ganz egal, wie dämlich man sich dabei vorkommt. Sich und anderen.
»Äh, wenn du mir ein ganz klein wenig auf die Sprünge helfen könntest .«
»Ich helf dir gleich auf die Sprünge«, keifte sie. »Du hattest versprochen, mich heute morgen um neun Uhr anzurufen!«
»Ääh, ehrlich? Muß mir irgendwie entfall-«
»Du hattest ebenfalls versprochen, dich heute noch mit meinem Klienten zusammenzusetzen!«
»Du, ah, ja, jetzt erinnere ich mich wieder .« Saß in einer Anstalt für kriminelle Geisteskranke, der Typ, irgendwo am Arsch der Welt. Allein schon der Gedanke an das Schlüsselrasseln, das mich da aller Wahrscheinlichkeit nach erwartete, verursachte mir eine Art klaustrophobisches Würgen. Das Schlüsselrasseln, das Türenschlagen, die ganze Akustik dieser kahlen Gänge und der Mief . - Mann, ich hatte keinen Bock. Echt nicht.
>Wimmel sie ab<, riet mir meine innere Stimme, >wimmel sie ab, und laß sie ein paar Wochen schmollen. Scheiß drauf.<
»Bloß, gerade heute ist mir etwas Wichtiges dazwischen gekommen, etwas . äh, total Dringendes .«
»Und darum hängst du auch erst bei Dohle herum und jetzt bei Kurt Hoffmann, auf der total dringenden Suche nach deinen total wichtigen Schrottmotoren? Haben die nicht wirklich Zeit?«
Obwohl ich keine Gelegenheit auslasse, Veronika über meine finanzielle Lage auf dem laufenden zu halten, scheint sie doch der
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