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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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zermalmte ich einen gräßlichen und an die Adresse meiner Götter gerichteten Fluch zwischen den Zähnen, klingelte an dem imposanten Portal und ignorierte, so gut es ging, die Videokamera, die von ihrem Tragarm aus penetrant auf mich herunterstierte.
    Habe ich >Barmädchen< gesagt? Nun, das traf es nicht ganz. Aus dem Mädchenalter war Nina schon eine Weile heraus. Eine ganze Weile. Nur, sie tat immer noch so. Zog einen Flunsch, wenn Det etwas Falsches gesagt hatte, klimperte viel mit ihren Wimpern und kicherte bei jeder Gelegenheit schrill und schulmädchenhaft los. Sie war wie verwandelt. In der Ear war sie mir so ernst vorgekommen, so in sich gekehrt. Ernst und einsilbig und irgendwie beinahe würdevoll. Hier, bei sich zuhause, plapperte sie in einem fort, stakste viel auf ihren Stöckelschuhen hin und her, drehte die Musik lauter und versuchte sogar, für uns zu tanzen. In der Bar hatte sie mir besser gefallen.
    Es dauerte nicht lang, und sie und Det hatten sich auf der Couch ineinander verschlungen, befummelten sich gegenseitig, knutschten wie wild und ließen nur voneinander ab, um gierig zu trinken und sich Zigaretten anzuzünden.
    Wie man sich vorstellen kann, kam ich mir etwas überflüssig vor. Ich wäre auch gegangen, liebend gern, und hätte die beiden sich selbst überlassen, wenn ich nur die leiseste Ahnung gehabt hätte, wie ich von dort aus wieder nach Hause kommen sollte.
    Wirklich, es hätte mich nicht im Geringsten verwundert, wenn sich auf mein Klingeln hin beide Flügel des gut vier Meter hohen und drei Meter breiten Holztores knarzend geöffnet und den Blick auf einen fackelschwenkenden Buckligen mit den Hauern eines Wildschweines und einem Haarschnitt wie ein Heuhaufen freigegeben hätten, doch statt dessen summte es nur leise und mit einem metallischen Klacken sprang eine in den linken Torflügel eingelassene Pforte einen Spaltbreit nach innen. Ich atmete einmal tief durch und ging hinein. Es summte erneut, und die Pforte schloß sich hinter mir wieder mit dem ausgesprochen soliden, verläßlichen Geräusch, das durch die Verbindung von einem kräftigen Elektromotor mit einem massiven Verschlußmechanismus entsteht.
    Mich schauderte. Es war wieder wie damals, zu meiner Haftzeit: Das Tor schließt sich hinter dir, und ab da lebst du in dem Gefühl, die Zeit verrinnt dir unendlich zäh und unvorstellbar unnütz zwischen den Fingern. Deine Uhr läuft ab, doch ohne daß du Gelegenheit hättest, am wirklichen Leben teilzunehmen. Und deine Gedanken kreisen unaufhörlich um all das, was du machen könntest, wenn du nur draußen wärest. Draußen ...
    Die Richter hatten wenig Verständnis dafür gezeigt, daß sich eine schwere Heroinabhängigkeit mit zweier Hände Arbeit einfach nicht finanzieren ließ und ich auch nicht der Typ dafür war, auf dem Bahnhof meinen Arsch hinzuhalten oder ungewaschenen Widerlingen einen zu lutschen. Ich war statt dessen der Typ, der nachts in anderer Leute Häuser einbrach und sich unweigerlich irgendwann dabei erwischen lassen mußte. Unter den Armen eine frisch geklaute Stereoanlage mit baumelnden Kabeln und in der Hosentasche einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz im Gewicht von 0,5 Gramm.
    Und so schüttelten sie denn ihre verständnislosen Köpfe, die hohen Herren des Gerichts, und schickten mich hinein, zu büßen für meine Verfehlungen.
    Na, wer weiß, wofür's gut war. Es hat mich drei Jahre gekostet, sicher, doch seitdem hatte ich schon wieder zehn angesammelt. Zehn Jahre, frei und clean, die ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gesehen hätte, hätte ich weiter so geballert.
    Geblieben ist mir jedoch, neben einem gewissen inneren Abstand zu harten Drogen, eine nicht von der Hand zu weisende Klaustrophobie.
    In meinem Rücken das Tor ohne Klinke, ein paar Schritte vor mir ein Gitter aus daumendickem Rundstahl bis hoch unter die gut vier Meter hohe, gewölbte Decke, dahinter ein langer Gang mit hoher, gewölbter Decke, von dem links und rechts ähnliche Gänge abzweigten; Böden und Wände bis in Schulterhöhe eitergrün gekachelt. Auf meiner Stirn Schweißtröpfchen, feucht auch meine Achseln, meine Handflächen, völlig trocken dagegen mein gesamter Rachenbereich, so drehte ich mich nach links, wo hinter schußsicher aussehendem, dickem, grünem Glas der blau uniformierte Pförtner hockte und ohne erkennbare Regung auf eine ganze Batterie von grauflimmernden Monitoren glotzte.
    Kein Buckel, allerdings, keine Hauer, auch keine wie mit Sense und

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