Prickel
kam ihr Atem. Außerdem war sie, von nahem betrachtet, viel älter, als sie tat. Viel älter als ich, auf alle Fälle. Und obwohl mich das alles nicht unbedingt begeisterte und obwohl ich obendrein das Gefühl nicht los wurde, daß sie sich nur über mich lustig machte (Det zumindest machte sich lustig, pausenlos), also trotz alledem packte mich dieser ... dieser Kitzel. Von Minute zu Minute mehr. Ich faßte sie an. Vorsichtig.
»Oh, Baby«, stöhnte sie mir ins Ohr und steckte dann noch ihre Zunge hinein, »du machst das so gut!« Und ihre Hand war am untersten Knopf meiner Strickjacke angekommen. Ihr Schenkel drückte. Mal leichter und mal stärker . abwechselnd.
»Jaa«, schrie Det und kam mit Gläsern zu uns rüber, ganz rot im Gesicht und mit aufgerissenen Augen, »jaa, besorgs ihr, Prickel!«
Ich wußte nicht recht. Mir war . heiß. Ich faßte noch mal zu. Etwas fester, vielleicht.
»Aua!« keifte Nina, grob, und stieß meine Hand weg.
»Das üben wir aber noch mal, was, mein Kleiner?« Sie nahm Det ein Glas ab, und ich sah, wie die beiden sich zuprosteten und dabei zwinkerten.
»Hier, trink«, sagte sie, wieder sanfter, und hielt mir das Glas an die Lippen, »das entspannt. Du bist ja ganz verkrampft.« Und ihre freie Hand hielt meinen Hinterkopf fest, als ich mich zu sträuben versuchte.
Ich vertrage keinen Alkohol. Ich meine, überhaupt keinen. Alkohol macht, daß mir bunte Lichter vor den Augen tanzen. Erst regt er mich unheimlich auf. Dann werde ich ganz schlapp. In der Zwischenzeit ist mir so ziemlich alles egal.
Als sich das Gitter endlich öffnete, nahm Pfleger Weber mich in Empfang. Die Zeit auf der Bank hatte genügt, mich in eine Depression fallen zu lassen, in ein apathisches Desinteresse. Ich kannte das ja alles schon. Die eigentümliche Atmosphäre eines Haftbetriebes enthält nichts Faszinierendes mehr für mich. Alles schon gesehen, alles schon erlebt. Angefangen mit diesem Geruch. Diesem seltsamen, schwer zu beschreibenden Geruch nach . nach . nach eingesperrten Männern eben. Und dann diese mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf unnatürlich langsam über die Gänge schlurfenden Gestalten -eine Gangart, die aus der Erkenntnis resultiert, daß es praktisch kein Ziel gibt, wohin es sich zu schlurfen lohnt, daß einen nichts und niemand dort erwartet und daß jegliche Beeilung deshalb die ganze Angelegenheit nur noch sinnloser erscheinen läßt - das alles brachte süße Erinnerungen zurück. Völlige Abgestumpftheit ist allerdings das wirksamste Mittel gegen den Anstaltskoller, und ich erschrak, als mir auffiel, wie schnell dieses tote Gefühl mich wieder überkam. Auch der Pfleger beobachtete mich schon kritisch aus den Augenwinkeln. Diese Leute haben einen geschulten Blick für Gangarten. Also riß ich mich zusammen, nahm die Schultern zurück und den Kopf wieder hoch und sah mich mit dem Ausdruck wohligen Gruselns um, der von Besuchern solcher Institutionen einfach erwartet wird.
Material zum Gruseln war jedenfalls reichlich vorhanden.
Was ein kranker Kopf mit dem restlichen Körper anstellt, ist erstaunlich. Warum waren manche so groß? Andere so klein? Und dann diese Gesichter! Verglichen damit waren selbst die übelsten Verbrechervisagen in der JVA Wuppertal noch lauter hübsche Bengels gewesen.
Sicher, die kahlgeschorenen Schädel taten ein übriges.
Und alles gaffte. Manche waren offensichtlich komplett stoned von irgendwelchen Stumpfsinn erzeugenden Pillen, konnten sich kaum senkrecht halten. Andere schubbelten nur so an der Wand lang und beäugten den Pfleger und mich aus den äußersten Winkeln ihrer Augen mit einer Angst, die an Entsetzen grenzte. Als wären wir die gefährlichen Verrückten. Pfleger Weber bewegte sich durch diese Ansammlung von Zombies mit der gleichen entspannten Lässigkeit, die ein Dompteur inmitten einer gemischten Raubtiernummer an den Tag legt. Er trug einen, wenn auch kurzgeschnittenen, Vollbart, was bei einem Schließer selten ist, fast schon provokant. (Der Delinquent, der nicht versucht ist, bei der erstbesten Gelegenheit einmal daran zu rupfen, ist noch nicht geboren). An seiner Seite hing ein meterlanger Schlagstock, ein Handy und in speziellen Gürtelschnallen ein ganzes Bündel Plastikhandfesseln und eine kleine, unscheinbare Sprühdose. Für potentielle Bartrupfer, nahm ich an. Um seinen Hals baumelte eine Trillerpfeife.
»Sind das alles Gewalttäter?« fragte ich, als wir gerade einen Bogen um ein besonders großes, eindrucksvolles
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