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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Rechen fabrizierte Frisur, sondern nur ein braver Seitenscheitel über dem in Langeweile erstarrten Gesicht eines Produktes von zwanzig Generationen geistig wenig fordernder Tätigkeit auf den Feldern und Ackern rings um Ratingen. Vor ihm ragte ein Mikro aus seinem Schreibtisch.
    »Ja?« fragte er hinein, nachdem es mir gelungen war, mit dem Schwenken beider Arme seinen Blick von den Bildschirmen loszureißen. Ich weiß nicht, wie er sich in natura anhörte, aber auf meiner Seite der Scheibe kam es als Quaken an. Eines der vielen Dinge, über die ich mich immer wieder wundere: Da fließen Hunderttausende in immer perfektere Video-Überwachungsanlagen, elektronische Türsicherungen und Panzerglas, und in die Gegensprechanlagen bauen sie dann zu guter Letzt diese billigen, quakenden Lautsprecher und Mikrofone ein. Und außen werden sie immer so in Hüfthöhe montiert. Hier war es nicht anders.
    Wenn ich mir irgend etwas wirklich abgewöhnt habe, dann diese Rumpfbeuge.
    »Guten Tag«, sagte ich deshalb erstmal in normaler Sprechweise und genereller Richtung auf des Pförtners Ohren. »Ich bin hier, um einen gewissen ...« - aah, verdammt - »... Bernd Roselius, ja, zu besuchen.« Mit Namen hab ich's nicht so.
    »Wie? Wie war der Name?« quakte es.
    »Bernd Roselius«, bellte ich, mit verschärfter Artikulation.
    »Besuchserlaubnis?«
    »Sollte Ihnen vorliegen.« Veronika hatte gesagt, sie kümmere sich um alles.
    »Was? Können Sie das noch mal wiederholen? Und sprechen Sie lauter!«
    Jetzt beugte ich mich doch vor, stützte mich auf die kleine Theke, senkte meine Lippen bis ganz nah vor die Lautsprecher/Mikrofoneinheit und wiederholte mich, lauter. Viel lauter.
    Zuckte nicht mit einer Wimper, der Mann.
    »Ausweis?« Ich kramte ihn aus der Jackentasche und ließ ihn in eine Schublade wie am Bankschalter fallen.
    Der Pförtner runzelte die Brauen, während er mühsam meinen Namen entzifferte, und kramte dann eine Weile in den Papieren auf seinem Tisch. Schließlich schien er gefunden zu haben, was er suchte, und anschließend ging sein Kopf exakt siebzehnmal in Zeitlupe von links nach rechts und wieder zurück, während er die Buchstabenkombination auf seinem Formular Stück für Stück mit der in meinem Ausweis verglich. Seine Lippen bewegten sich dabei. Ich begann mich zu fragen, obwohl einer seiner ehemaligen Lehrer hier einsaß. Gewundert hätte es mich nicht. Noch etwas später fragte ich mich, ob sie das kugelsichere Glas extra für ihn eingebaut hatten.
    Schließlich, nach hundert Jahren und einem Tag, war er fertig, nickte sich zur Bestätigung einmal zufrieden zu, legte Formular und Ausweis in die Schublade, schickte mir beides raus und sagte: »Warten Sie«, in sein Mikro.
    »Pfleger Weber kommt Sie holen.«
    Gegenüber stand eine alte Holzbank. Ich ließ mich darauf nieder, legte den Kopf an die kühlen Kacheln und versuchte, flach und gleichmäßig zu atmen. Im Grunde wollte ich nur eins: Raus hier, und zwar so schnell wie möglich.
    Det hatte seine Hand in Ninas Bluse und sie ihre in seiner Hose, und ich wußte nicht, wo ich hinschauen sollte. Am liebsten wäre ich einfach aufgestanden und gegangen, als Det plötzlich wieder einzufallen schien, daß er nicht alleine hergekommen war.
    »He«, sagte er zu Nina und deutete auf mich, »Freund Prickel scheint sich vernachlässigt zu fühlen.« Und mit diesem kleinen, unangenehmen Grinsen, das er immer aufsetzt, wenn er sich für witzig hält: »Was bist 'n du für 'ne Gastgeberin? Solltest du dich nicht um alle deine Gäste gleich kümmern? Guck doch nur, was Prickel da Schönes in der Tasche hat für dich!«
    Es war peinlich. Ich weiß noch, daß ich mich in meinem Sessel wand. Doch Nina machte Huch!, riß die Augen auf und schlug die Hand vor den Mund, und Det fiel beinahe vom Sofa vor Lachen. Hastig knöpfte ich meinen Mantel zu, den ich die ganze Zeit noch nicht ausgezogen hatte.
    »Oh, nein, nein, nein«, protestierte Nina und kam auf mich zugewackelt, »du sollst es doch bequem haben bei mir!« Und sie hat mir den Mantel wieder aufgeknöpft und ihn mir über die Schultern gezogen, bis ich mit den Armen rauskam, und sich dann auf meinen Schoß gehockt. Det goß derweil ihre Gläser wieder voll.
    »Naa, Hübscher«, raunte Nina mit rauchiger Stimme und knöpfte an meiner Strickjacke herum, »sagen wir auch ab und an mal ein Wörtchen?«
    »Prickel ist mehr ein Mann der Tat!« schrie Det und lachte wie ein Verrückter.
    Sie hatte zuviel Parfüm genommen. Dazu

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