Prickel
Ende einer geschwungenen Auffahrt.
>Heinz-Hubert und Sabine Lenkering< stand auf dem oberen Klingelknopf an der Gartenpforte, >Lenkering jr.< auf dem unteren. Ich klingelte unten. Scuzzi hatte gerne mitgewollt, doch ich konnte ihn heute beim besten Willen nicht ertragen.
»Der hat die volle Checkung«, hatte er noch hinzugefügt, »total positive Vibes und wirklich astreine Connections.«
Ich fragte mich, ob ich heute nur überempfindlich reagierte, ob es vielleicht an seinen neuen Pillen lag, oder ob Scuzzi tatsächlich immer in diesem grausamen 70er-Jahre-Slang redete.
»Ja?« machte die Gegensprechanlage und ich sprach meinen Namen hinein.
»Links ums Haus herum«, kam es zurück und der Summer summte.
Der Junge wohnte nicht schlecht. Auf seinen Spitznamen hin hatte ich ein verwahrlostes Souterrain erwartet, oder eine verkommene Bruchbude in der dritten Etage hintenraus, mit Ofenheizung und Klo auf dem Flur, doch dies hier war ohne Zweifel eine Villa. Die niedrige Sorte, mit einem ziemlich flach geneigten Dach, verschnörkelten Gittern vor den mit Bruchstein eingefaßten und mit überquellenden Blumenkästen versehenen Fenstern und einer in makellosem Weiß gehaltenen Fassade. Makellos auch die gepflasterte Auffahrt, umgeben von wie mit der Nagelschere beigeschnittenen, makellosen Rasenflächen. Ein schmaler, sauber gepflasterter und von symmetrisch angelegten Rosenbeeten begrenzter Weg führte zwischen dem Haus und der im gleichen Stil gehaltenen Dreifachgarage hindurch in einen Garten, der sich in sanftem Schwung zu einem Wäldchen hinab erstreckte. Ein Garten, nebenbei, den man ruhig als einen Triumph des Willens über die Natur bezeichnen durfte. Alles machte einen gnadenlos auf dekorativ getrimmten und zurechtgestutzten, nahezu keimfreien Eindruck. Keine Hecke, in der er hätte pennen können, selbst wenn er gewollt hätte. Ich fragte mich, wie Lenkering jr. unter solchen Vorzeichen wohl an seinen Spitznamen gekommen sein mochte.
An der Rückseite war das Haus so in den Hang hineingebaut, daß sich dadurch eine Etage mehr ergab. In den Rasen eingelegte Steinstufen bildeten den Weg zu einer separaten Eingangstüre mit eigener Klingel und Briefkasten.
Vielleicht war es ein durch einen krassen Gegensatz inspirierter Ulkname, dachte ich mir. So wie man ein besonders häßliches Mädchen hinter ihrem Rücken gerne >Tausendschönchen< nennt. Oder, fällt mir dazu ein, wie dieser Typ bei uns in der Klasse, der wieselig und klein war und in einem fort redete und redete und deshalb bei allen Mitschülern nur >Der Große Schweiger< hieß.
So mußte das gewesen sein, dachte ich mir und klingelte. Rechts von der Türe hing eine Videokamera, die sich mit leichtem Surren auf meine Physiognomie ausrichtete.
Demnächst kann man nicht mal mehr seinen Müll nach unten bringen, ohne so ein Scheißding passieren zu müssen. Eine kleine rote Lampe leuchtete knapp oberhalb der Linse, und als ich Rauch ausatmete, konnte ich einen feinen Lichtstrahl erkennen, der genau auf meine Stirn zielte.
Der Türöffner summte, und ich trat ein. In ein verwahrlostes Souterrain.
Erstmal war es schummrig. Dann muffig. Definitiv muffig. Ich sah mich um. Ein halbes Dutzend Monitore glommen. Auf einem konnte ich beim Reinkommen meinen Hinterkopf beobachten, mit einem hellen roten Punkt in der Mitte. Dann schloß sich die Türe hinter mir, und der Bildschirm erlosch.
Abgesehen von einer an mein eigenes trautes Heim erinnernden, jeden noch so gutgemeinten Ansatz zum Aufräumen in Mutlosigkeit erstickenden Unordnung hätte das Zimmer auch ein U-Boot-Kommandostand sein können. So einer, wie man ihn für einen ZDF-Zweiteiler zusammennageln würde. Fenster gab es jedenfalls keine.
Auf einem rückenlehnenlosen, z-förmigen, entweder genialen oder aber idiotischen Stück Polstermöbel kniete der Herr über all das hier - Heckenpennes.
Da hatten wir ihn also. Aha. Leichenbleiche, dürre Beine ragten aus weiten, wie eine auf Kniehöhe abgeschnittene, ach was, abgekaute Anzughose aussehenden, dunklen Shorts, darüber ein verschossenes >Keine Macht den Drogen<-T-Shirt und schließlich der Kopf: Mit dem gleichen Werkzeug wie die Shorts auf Schulterlänge gebrachte Haare und mitten im fettig glänzenden Gesicht eine Nase, die, ich weiß auch nicht warum, auf mich wirkte, als ob er den halben Tag darin herumpolkte.
Er grinste mich an, eine Selbstgedrehte im Mundwinkel, eine von 80 pro Tag, wenn man seine Zahnfarbe als Grundlage einer Schätzung
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