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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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heranzog.
    »Du bist Kristof?« fragte er und hielt mir seine Hand hin, Fläche nach oben. »Ich bin Alexander. Wie man mich in der Szene nennt, weißt du ja.« Da hatte er recht. Und was immer diese Namensgebung inspiriert haben mochte, ein krasser Gegensatz war es sicherlich nicht gewesen. Ich drückte ihm das kleine Päckchen, das Scuzzi mir mit auf den Weg gegeben hatte, in die wartende Hand.
    »Hmm«, machte er, schmatzte mit den Lippen und schnüffelte hörbar. »Kristalline Energie für die langen Nächte«, meinte er zufrieden. »Am liebsten würde ich gar nicht mehr schlafen. Ich bin an einem irre aufregenden Punkt angelangt. Nicht mehr lange, und mein Baby lernt laufen.« Er strahlte mich an. »Das, was ich da entwickle«, sagte er und deutete hitzig auf einen der Monitore, der nur knapp einen schwierig zu entwickeln aussehenden Wust von Papier überragte, »wird Bill Gates an den Bettelstab bringen.«
    Das erschien mir übertrieben optimistisch. Um es so weit kommen zu lassen, dachte ich, müßte der Gute schon sein gesamtes Vermögen einem regelrechten Konsortium von ebenso korrupten wie skrupellosen oder unfähigen Sachwaltern zu treuen Händen übergeben. Seiner Regierung, zum Beispiel. Oder unserer.
    Das eine Auge wegen des aufsteigenden Rauchs zugekniffen, klapperte er ein bißchen auf der Tastatur vor ihm herum, und auf dem Bildschirm tat sich etwas, das mich, bei einiger Sachkenntnis, wohl aus den Socken hätte hauen sollen. Nun, sagen wir es so: Ich habe mal einen Mann mit drei laufenden Kettensägen jonglieren sehen; also das - »Ich arbeite hier an einem Programm«, unterbrach er meine Gedanken und wies stolz mit dem Kinn auf das für mich nichtssagenden Geflimmer, »das >Windows 95< wie ein Fahrrad neben einem Tornado-Jet wirken lassen wird.«
    Und wenn du damit fertig bist, dachte ich, solltest du ein bißchen an deinen Metaphern arbeiten. Ein Fahrrad ist, sehen wir es doch einmal nüchtern, eine im Grunde genial einfache, außerordentlich zweckmäßige Konstruktion. Günstig in der Anschaffung, haltbar, leicht zu bedienen, mit minimalem Aufwand zu warten, braucht drei Tropfen Öl auf hundert Kilometer. Ein Kampfbomber vom Typ Tornado dagegen -»Scuzzi sagt, ich könnte dir bei irgendwas helfen?« Mit ein paar Tastenklicks brachte er die Kiste dazu, einen weiteren Meter Papier hervorzuwürgen, das er mit gerunzelten Brauen studierte.
    »Ja«, sagte ich und zog mir einen Stuhl heran. »Vorausgesetzt, du verstehst auch was vom Hacken?«
    Er drehte sich zu mir mit der Miene eines Kampfbomber-Wartungsingenieurs, den einer gefragt hat, ob er auch eine Fahrradkette ölen kann.
    »Wenn es nicht sofort sein muß«, meinte er und leckte ein Blättchen längs, »und wenn es nicht gerade eine Bundesbehörde ist, die du angezapft haben willst.« Er plazierte die Zigarette an die Stelle der alten und zündete sie an. »Die reagieren immer gleich so hysterisch.«
    »Nein«, sagte ich, »es ist eine Irrenanstalt. Kommst du da rein?«
    »Lieber heute als morgen«, lachte er, »wenn es nach meinem Vater ginge.« Dann wurde er wieder sachlich.
    »Was genau willst du haben?«
    Ich reichte ihm einen Zettel, den ich vorbereitet hatte und schilderte ihm kurz und knapp, auf was für Daten ich aus war, und in groben Zügen auch, warum.
    Er nickte, ernst aber zuversichtlich, so als wolle er sagen, alles kein Problem. Genau das aber machte mir Sorgen. Es ist ein Scheiß-Gefühl, jemanden um einen Gefallen zu bitten, und der gerät darüber in Schwierigkeiten. Ich sagte ihm das. Er winkte nur ab.
    »Dies«, flüsterte er mit übertriebener Mimik, »ist ein Abzweig vom Firmenanschluß -« er deutete zur Zimmerdecke - »meines Daddys.« Verschwörerisch legte er einen Finger auf die Lippen. »Und Daddy«, fuhr er in normalem Tonfall fort, »ist Makler. Immobilienmakler. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Das sind über fünfundzwanzig Jahre ständigen Versprechens und anschließenden Leugnens und Abstreitens. Bei soviel Übung wird einem das praktisch zur zweiten Natur. Sollte also irgend jemand jemals auf die Idee kommen, ihm das Herumräubern in fremden Datennetzen vorzuwerfen, er würde sich an einer aalglatten Wand routinierter Dementis die Zähne ausbeißen.«
    Na, das hörte sich ja ganz gut an. Doch an seinen Metaphern mußte er wirklich noch etwas tun. Da fehlte der Feinschliff.
    »Gut.« Ich wandte mich zum Gehen. »Wie machen wir das ...« ich wußte nicht recht, wie ich es ausdrücken sollte, »...

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