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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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einmal an mir rauf und runter und dann mit unverhohlenem Mißtrauen mitten ins Gesicht. Was konnte sie haben? Unter meinem Leibchen trug ich tadellose weiße Hosen mit Bügelfalten und hatte mir sogar die Schuhe geputzt. »Sie sind nicht Dr. Bruckmann«, stellte sie fest. Das war beim besten Willen nicht zu leugnen.
    »Völlig richtig«, sagte ich deshalb, nahm ihr das Tablett ab und wandte mich wie selbstverständlich zum Gehen. »Ich bin Dr. Timm. Wieso?«
    Sie deutete mit dem Kinn auf mein Namensschildchen. Ich schielte danach. »Ah, verdammt«, sagte ich. »Kittel verwechselt. Na, es war aber auch eine lange Nacht.« Damit trollte ich mich.
    »Ich besorg uns jetzt was zu fahren«, sagte ich zu Charly zwischen hastigen Bissen und Schlucken. Er nickte nur. Roselius schnarchte sanft an seiner Schulter. Fünfzig Meter vor uns lag der Zufahrtsweg zum Haupteingang. An seinem anderen Ende konnte man, halb hinter Gesträuch verborgen, ein Pförtnerhäuschen nebst Schranke erkennen. Eine echte Hürde, das. Ich ließ die beiden auf ihrer Bank zurück und umrundete mit schneidigen, zielgerichteten Schritten das Gebäude, bis ich fand, wonach ich gesucht hatte: Die Einfahrt zur Notaufnahme. Ich hatte an das Parkhaus gedacht, kurz, doch hätte uns selbst der dicke Daimler des Oberarztes nur bis vor die nächste Straßensperre gebracht. Nicht durch.
    Mit ein paar tiefen Atemzügen brachte ich meinen Kreislauf auf Touren. Entscheidende Momente standen an. Brötchen und Kaffee zu ergattern war das eine gewesen. Das Leichte.
    Innerlich zählte ich bis drei, dann schwang ich die Tür zum Bereitschaftsraum auf und stampfte hinein.
    »Morgen, die Herren«, bellte ich in den schalen Zigarettenrauch und das Geballer einer Schießerei im Fernseher hinein. Die müden Gesichter zweier übernächtigter Rettungssanitäter blickten zu mit hoch. »Ab mit euch«, rief ich mit übertriebener Munterkeit, »auf Station 10C wird euer Typ verlangt. Ich weiß zwar nicht, was ihr diesmal verbockt habt, aber die Kripo ist da und hat ein paar Fragen. Also los! Ich übernehme hier so lange!«
    »Kripo?« fragte der Ältere der beiden und rieb sich das graustoppelige Kinn, während er sich aus seinem Stuhl astete. »Was wollen die denn?«
    »Irgendwas wegen eines Transportes kürzlich«, antwortete ich und gab meinem Blick etwas Bohrendes. »Sicher nur eine Formsache«, fügte ich dann beschwichtigend hinzu, »nehme ich an.«
    »Auch noch 10 C«, beschwerte sich der Jüngere und schwang sich widerwillig auf die Füße.
    Ganz recht, dachte ich. Ganz oben, ganz hinten.
    »Und wie immer kurz vor der Ablösung.«
    »Ihr könnt dann Schluß machen«, rief ich den beiden hinterher. Sicher, ich bin streng als Vorgesetzter, doch ich kann auch großzügig sein. »Ich warte hier, bis die neue Schicht da ist.« Im großen Ganzen bin ich mir ziemlich sicher, daß mein Führungsstil ankommt.
    Kaum waren sie aus dem Zimmer, griff ich mir das Telefon und hackte auf die Null. »Geben Sie mir mal das Pförtnerhäuschen«, verlangte ich, sobald sich die Vermittlung gemeldet hatte.
    »Pforte«, kam es nach kurzem Tuten aus dem Hörer.
    »Dr. Timm hier«, meldete ich mich. »Wir kommen gleich mit einem eiligen Transport raus. Sehen Sie also zu, daß Ihre Schranke diesmal offen ist.« Es geht doch nichts über unterschwellige Vorwürfe, um die Leute auf Zack zu bringen. »Haben Sie mich verstanden?«
    »Wieso >diesm-< ...?«
    »Reden Sie nicht soviel, tun Sie, was man Ihnen sagt!« »Jawohl, Herr Dokt- .«
    Ich knallte den Hörer auf die Gabel. Könnte ich mich glatt dran gewöhnen, an diesen herrischen Tonfall.
    Draußen in der Halle der Notaufnahme parkten ein Kranken-und ein Notarztwagen. Ich tauschte meinen grünen Kittel gegen einen weißen vom Haken und griff mir noch einen zweiten, für Charly. Suchend sah ich mich noch einen Moment um. Der eine der beiden Sanitäter hatte seine Brille auf dem Tisch liegenlassen. Ich probierte sie auf. Der Raum gewann dramatisch an Tiefe. Ich streckte meine Hand aus. Mein Arm war bestimmt zwanzig Meter lang. Auf dem Weg zur Tür kam ich an einem Spiegel vorbei. Die Karikatur eines perversen Spanners griente mich unter zwei Flaschenböden hervor an. Somit bis zur, wie ich hoffte, Unkenntlichkeit maskiert trat ich hinaus in die Halle und ging entschlossenen Schrittes zu dem Krankenwagen hinüber, einem Chevrolet-Van, wie man sie im Fernsehen immer sieht, mit mehr Lampen ringsum als die Lichtanlage einer Dorfdisco. Es waren zwanzig

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