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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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runterschrauben lassen. Langsam senkte ich den Kopf auf das Kissen und der Wecker schrillte.
    Sie brauchte einen Moment, um wach zu werden. Tapste mit der Hand nach dem Wecker, machte ihn aus, murmelte irgend etwas Mürrisches, entdeckte mich dann an ihrer Seite, machte >Hmmm< und schnuckelte sich an mich.
    Geschafft, dachte ich, Junge, du hast es geschafft. Das macht dir keiner nach. Eine unfaßbare, an Ergriffenheit grenzende Erleichterung packte mich.
    Sie griff nach mir. »Hossa«, knurrte sie. Ihre Stimme war tief und rauh, und ich mußte zu meiner eigenen Verblüffung feststellen, daß mir, allen anderslautenden Prognosen zum Trotz, eine regelrecht vorweihnachtliche Latte wuchs. Na gut, dachte ich. Was sind schon ein paar Kratzer mehr auf dem Kreuz im Vergleich zu einem veritablen Vier-Sterne-Alibi? (>Wo waren Sie letzte Nacht, Kryszinski? Und passen Sie auf, was Sie sagen! Wir prüfen das nach!<) Oh ja, bitte, prüft das nach.
    Na gut, dachte ich mit katerhafter Selbstzufriedenheit und wollte schon zur Tat schreiten, da murmelte sie etwas in mein linkes Ohr, das mir wie ein Messer ins Gedärm fuhr und das Haupthaar mit einem Schlag und für immer schlohweiß bleichte.
    »Wo warst du«, fragte sie, schläfrig und ein bißchen vorwurfsvoll und bei Gott, um ein Haar und ich hätte mich beschissen vor Schreck, »nur«, fügte sie dann hinzu, »all die Jahre?«
    Ich ging durch all die nötigen Bewegungen. Ich brachte ihn hoch und hielt ihn da und führte ihn ein, und das Bett quietschte und ächzte, und Zora stöhnte und japste und, ja, sie krallte sich in meine Pelle, und irgendwann kam sie und ich, meine ich, auch, doch ich spürte nichts.
    Sie stand dann auf und machte Kaffee und duschte und zog sich hastig an und verabschiedete sich von mir, und ich meine, wir hätten uns noch verabredet für - ich weiß nicht mehr, wann. Oder wo. Ich war wie paralysiert, schockgefroren. Mein Hirn war zu einem Klumpen Gelee erstarrt, meine Augen für immer aufgerissen. Der letzte Schreck war einer zuviel gewesen.
    Starren Blickes, mit unbeholfenen, wie automatisiert wirkenden Bewegungsabläufen zog ich mich an und machte mich auf den Weg. Liebend gerne wäre ich für die nächsten zwölf bis zwanzig Stunden im Bett geblieben, doch ich mußte nach Hause. Ich wurde erwartet. Und ich meine nicht nur von der Katze.
    Der dunkelgrüne Passat in Basisausstattung parkte direkt vor meiner Haustür. Ich ging einmal drumrum; es saß keiner drin.
    Der Schock von vorhin war etwas abgeebbt. Mit einiger Anstrengung bekam ich die Lider wieder zu. Das Problem war, hatte ich sie nun einmal unten, wollten sie nicht wieder aufgehen. Gähnend schloß ich die Haustür auf und schleppte mich die Treppe hoch.
    Hauptkommissar Menden wartete oben. Das metallisch-graue Haar wie immer etwas zu lang und in eben dem zerknitterten Trenchcoat, in dem jeder andere Bulle lächerlich ausgesehen hätte, stand er wie selbstverständlich in meiner Küche. Doch das war okay. Wir kannten uns. Wohl auch ein Grund, warum er allein gekommen war; ein Umstand, der mich mit einiger Dankbarkeit erfüllte. Und das wiederum, kannte man Menden so, wie ich ihn kannte, war mit Sicherheit Teil seines Kalküls.
    Menden erzielt selten Geständnisse. Bei ihm werden meistens Lebensbeichten daraus. Er kann einem das Gefühl geben, freimütig alles jemals Verbrochene zu gestehen und dann tapfer lächelnd in den Kahn zu wandern, sei schon alleine deshalb die tollste Idee, weil das einen in seiner, Mendens, Achtung steigen ließe.
    Die Realisierung, es mit dem fähigsten Bullen von Mülheim zu tun zu haben, gab mir einen kleinen Ruck.
    »Morgen«, sagte ich. Menden stand mit den Händen auf dem Rücken entspannt da und betrachtete versonnen das mit Abstand Teuerste, was ich besitze. Die Katze zog derweil schnurrende Achten um seine Beine. Bei wichtigen Leuten scheißt sie sich immer ein.
    Es handelt sich um eine Sammlung von Portraits. Fotografischer Portraits. In Schwarzweiß. Sie zeigen alle mich. Immer von vorn. En face, wie es der Fachmann ausdrückt. Und - Zufall - jedesmal am Steuer eines Autos sitzend.
    Für das Geld, das die mich gekostet haben, sage ich immer gern, hätte ich mich auch von Helmut Newton ablichten lassen können. Mit einer Pfauenfeder in den nackten Arsch geklemmt.
    »Wenn wir beide mal mehr Zeit haben«, sagte Menden, ohne den Blick zu wenden, »müssen Sie mir mal verraten, wie sie es schaffen, weiterhin im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein.«
    »Nun«, sagte

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