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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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keinerlei Interesse daran haben können, Ihren eigenen Klienten zu entleiben, kann ich hier praktisch auf der Hacke kehrtmachen und mich mit dem ganzen Apparat auf die Bearbeitung dieses neuen Hinweises werfen.« Er beugte sich leicht zu mir herab, und ich schwöre, er versuchte so etwas wie Blauäugigkeit in seine kühlen, grauen Augen zu legen. »Wo waren Sie heute nacht, Kryszinski?« fragte er leise.
    Ich druckste ein bißchen herum und gab vor, meine angeborene Ritterlichkeit - Er unterbrach mich, ohne die Stimme zu heben, ohne den Blick auch nur einen Millimeter zu wenden. »Wo waren Sie heute nacht?«
    Da gab ich's ihm. Stück für Stück. Vorname, Name, Adresse, abendliche Ankunftszeit, Uhrzeit der morgendlichen Trennung. Doch das Beste hob ich mir für den Schluß auf.
    Mit einem Schritt war er beim Telefon. »Ist sie zuhause?«
    »Ich glaube kaum. Sie müßte im Dienst sein.«
    »Dienst?«
    »Sie fährt Streife.«
    »Streife?«
    »Ja. Bei der Oberhausener Polizei.«
    Weit entfernt, in einem Haus auf der anderen Seite der Bahngleise, auf der anderen Seite des Flusses, auf der anderen Seite der Stadt, klingelte ein Telefon. Es ging mich nichts an. Nichts ging mich etwas an. Ich lag hingestreckt auf einer Wolke, ein Wölkchen an mein Ohr geschmiegt, schwebend, selig, sorglos, frei. Nichts konnte mein Wohlbefinden trüben.
    Bis auf dieses Klingeln. Bräsig zog ich das Wölkchen unter meinem Ohr hervor, erkannte es nicht ohne Stirnrunzeln als mein Kopfkissen, klatschte es mir auf das andere Ohr und versuchte, das Klingeln zu ignorieren. Es wollte nicht klappen.
    Ich wußte instinktiv, daß, sobald ich nur ein einziges Mal abhob, eine Lawine von Anrufen über mich hereinbräche. Wie wenn ein Popstar sich durch eine Menge von Fans wühlen muß und mittendrin spontan einem der quengelnden Teenies ein Autogramm gibt: Plötzlich erwarten, ja fordern alle anderen auch eins.
    Wenn es nur durchgeklingelt hätte! Doch es schrillte in Intervallen. Sechsmal, siebenmal, acht - Schluß. Eine Minute Ruhe, anderthalb. Gerade genug, um sich wieder einzusuhlen im warmen Schlick des Schlafes, um sich hinabsacken zu lassen bis knapp unter die Oberfläche, um einem Verlangen nachzugeben, stärker als Liebe, Hunger, Durst und Samenkoller, gerade genug, um einen Fuß auf die Schwelle zur Unerreichbarkeit zu setzen und - SCHRRRRRRIIIINNNGGGG!!! - schon ging der Terror von vorne los.
    Selbstredend bestand die Möglichkeit, den Hörer von der Gabel zu treten, die Schnur aus der Wand zu pflücken, den Apparat aus dem Fenster zu feuern. Doch dann hätte ich sie keine fünf Minuten später alle vor dem Haus gehabt, wo sie sich reihum bei dem Versuch abwechseln konnten, meinen Klingelknopf abzureißen.
    Außerdem, erinnerte ich mich mit einem Aufwallen von Selbsthaß, hatte ich zu tun. Der größte Nachteil einer freien, ungebundenen Ein-Mann-Existenz ist sicherlich der, daß man die anfallende Arbeit entweder selber erledigt, oder keiner macht sie.
    Mit dem Grunzen eines mitten beim Ficken gestörten Wildebers hob ich ab. Veronika.
    Ich knurrte: »Als hätte ich's geahnt.«
    »Hast du etwas damit zu tun, Kristof?« Sie klang atemlos.
    »Irgendwie«, antwortete ich gedehnt, »hätte ich dich für intelligenter gehalten, als solche Fragen übers Telefon zu erörtern.«
    Sie klang noch etwas atemloser, als sie sagte: »Kristof, ich möchte nur hier und jetzt sofort klarstellen, daß ich damit in keinem Fall in Zusammenhang gebracht werden möchte.«
    »Womit?« fragte ich, und sei es nur aus Nickeligkeit. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, daß ich vielleicht eine dreiviertel Stunde gepennt hatte. 45 Minütchen. Wenn's hoch kam. Und das nach so einer Nacht! Von den Tagen davor ganz zu schweigen. Irgend jemand, ganz gleich wer, würde mir dafür büßen müssen.
    »Ich habe niemals, ich betone niemals, und sei es andeutungsweise, irgendeine Form von krimineller Aktivität vorgeschlagen, angeregt oder auch nur erwähnt.«
    Genausowenig wie irgendeine Form von Bezahlung, dachte ich, so für mich.
    »Hinterher will's dann immer keiner gewesen sein«, sagte ich.
    »Kristof! Was immer du getan hast oder noch zu tun gedenkst, du wirst mich da raushalten, haben wir uns verstanden?«
    Wie ich das hasse! Erst hängen sie dir die moralische Verantwortung wie einen Mühlstein um den Hals, und wenn dir dann das Wasser bis zum selben steht, dann ... na ja, dann drücken sie sich. Oder was auch immer. Kneifen.
    »Leck mich«, sagte ich, nicht ohne

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