Priester des Blutes
Leib aus. In meinen Lungen verspürte ich eine weitere Kraft - eine Macht, die ich zuvor nicht gekannt hatte. Mein Atem. Die Übertragung lag im Atem selbst. Diesen gab ich an Ewen weiter, dessen Lippen die meinen zärtlich berührten.
Ich spürte seine Hand an meiner Schulter und dann an meiner
Brust. Sie war zwar kalt, erwärmte sich aber, als ich in seine Lungen atmete. Der Fluss des Stromes aus meinem Mund zu dem seinen verstärkte sich. Ich hatte des Gefühl, ich würde vielleicht niemals auf hören, doch statt dessen verlor ich mich in seinem Mund, seine Kehle hinab, ganz und gar in seinem Inneren, verlor meinen Körper und Geist, damit er wieder atmen konnte. Seine Arme wanderten zu meinem Rücken und zogen mich näher an sich. Ich spürte, wie sein Ver langen wuchs, wie ein Ofen, der rot zu glühen beginnt. Bei uns befand sich, das fühlte ich, eine unsichtbare Anwesenheit, die mir die Geheimnisse des Stromes zu flüsterte, die Geheimnisse des Flusses zwischen Vampyr und Mensch, die Geheimnisse der Übertragung des Atems und des Todes, der das Leben war, an eine andere Person.
Ich fühlte ein fürchterliches Hämmern in meinen Ohren und eine merkliche Schwäche in meinen Lenden. Er trank nicht einfach nur Atem aus meinem Mund, sondern er schluckte meine Essenz. Ich spürte sein Entzücken angesichts dieser Plünderung meiner Macht - dieses Saugen an meinem Innersten, meinem Fundament, meinem Sein. Nun war er mein Kind, mein Säugling, und ein neugeborener Untoter, den ich erschaffen hatte. Ich spürte die dritte Anwesenheit, die Erschaffung eines neuen Wesens in ihm, dadurch, dass ich ihm den Atem geschenkt hatte. Durch meine Essenz würde er auf ewig mit mir verbunden sein.
Er atmete gierig von meinen Lippen, wie ein Mann, der zu ersticken droht, nach Luft schnappt, und der Sog, der dadurch erzeugt wurde, bereitete mir Schmerzen. Mir fiel Pythia ein, wie sie sich zurückgezogen hatte, um die Verbindung zwischen uns zu unterbrechen, aus dem heiligen Strom aus zubrechen, der uns verband. Ich spürte einen qualvollen Schmerz, als seine Zunge nach den Kanten meiner Zähne tastete und an meinem Gaumen leckte, während er ver suchte, auch noch den letzten Rest dessen zu erhaschen, was ich ihm zu geben hatte. Doch ich nutzte all meine
Stärke, die mir noch geblieben war, und warf mich nach hinten, fort von ihm.
Eine weitere Erinnerung an Pythia überkam mich, eine Erinnerung daran, wie sie dieses Leben im Tode an mich weitergab: Ich sah die große Stadt namens Alkemara, die im Mondlicht leuchtete, und den Priester mit den Schwingen, die so glitschig waren wie Aalhaut und sich hinter seiner Gestalt ausbreiteten. In seiner Hand trug er den Stab der Nahhashim.
Hinter ihm lag eine Gestalt auf einem Steinaltar.
Als Pythia mir ihren Atem eingehaucht hatte, hatte sie mir auch etwas Geheimes gezeigt, etwas Schreckliches, und ich wusste nicht, was es zu bedeuten hatte.
Eine nackte Frau stand dort, neben dem geflügelten Priester, ihr Gesicht verdeckt durch eine goldene Maske. Von ihren vollen Brüsten bis zu ihrer straffen Taille, über ihre sanft gerundeten Hüften bis zu ihren schlanken, aber muskulösen Beinen hinab war ihr sonnengebräunter Leib mit Blut bedeckt. Die Vision war von der Art eines Traumes, denn einige Teile davon wirkten sehr lebendig, während andere nur halb Gestalt angenommen hatten. Einen Augenblick lang konnte ich die Goldmaske deutlich sehen. Sie besaß die Gesichtszüge Einer Frau, deren Mund weit offen stand und deren Zunge heraushing. Die Augen waren wild und weit aufgerissen. Hinter den Augenschlitzen der Maske erblickte ich dort Dunkelheit, wo eigentlich die Augen einer Frau hätten sein sollen.
Irgendetwas zog mich zu ihr hin. In der Vision bewegte ich mich, als besäße ich Flügel, auf die maskierte Frau zu, die zur Seite trat, um mir einen Blick auf den Altar zu gewähren. Ungebeten drang ich in den Bereich des Altars vor, auf dem eine junge Frau mit Lederstreifen festgeschnallt worden war. Sie war wie eine fürstliche Persönlichkeit gekleidet und trug eine Robe, so dünn wie Spinnweben. Um ihre Schultern sah ich einen türkisen Umhang,
mit Goldfäden durchwirkt. Auf ihrem Kopf trug sie einen Kopfschmuck in der Form eines Habichts. Es war Pythia selbst.
Dann lösten sich diese Bilder von Pythia, die mich über kommen hatten, als sie mir ihren offenen Mund, ihr Blut und ihren Atem geboten hatte, im Augenblick zwischen Leben und Tod, wie Rauch auf.
Schatten tauchten rings um den
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