Priester des Blutes
Schwert. In dieser Vision sah ich die flüsternden Schatten, die sich spiralförmig in Staubwolken um die nahende Armee bewegten.
Später sagte sie: »Ob du der Eine bist oder nicht, ist ohne Belang. Du besitzt die Macht des Heiligen Kusses. Du hast die Vision aus Pythias Strom gestohlen. Du wirst ›Falkner‹ genannt und magst der große Vogel sein, der die Schlange verschlingen und uns unseren Erlöser bringen wird - den Drachen. Die Schlange ist Nahhash, der Name des Stabes, den du gesehen hast und beim Namen kennst. Und es ist ein trostloses Ödland der Schlangen. Unser Stamm braucht nicht durch die Waffen der Sterblichen ausgelöscht zu werden. Diese schwarzen Schatten kommen mit den Menschen. Sie wissen, dass du hier bist. Du bist in Gefahr. Wir können es uns nicht leisten, noch mehr Zeit zu verschwenden. Wir müssen deiner Vision folgen. Lasst uns zu den Toren von Nahhash gehen.«
Bevor wir uns auf den Weg machten, begaben Kiya und ich uns zu Balaam, um uns von ihm zu verabschieden. Wir knieten uns
neben seinen Körper und berührten seine Kehle, so dass wir das Zittern in dem Strom seiner unsterblichen Existenz spürten. Die Knochen hatten sich vom Knorpel gelöst, seine Haut war in zwischen beinahe unstofflich geworden.
Innerhalb von wenigen Augenblicken spürte ich ein Knistern von Funken an meiner Hand, dort, wo ich ihn berührte. Ich hörte eine fremde Stimme, die durch den Strom die Strecke von meinen Fingern zu meinem Arm zurücklegte und schließlich bis in meinen Verstand gelangte, wo ich die Sprache verstehen konnte. »Du. Du bist er«, sagte der Mann in mir.
Das reichte mir, um zu verstehen.
Kiya blickte mich an, und ihr Gesicht erhellte sich, als hätte sie die Worte ebenfalls gehört.
Ich spürte eine Aufwallung von Stärke in meinem Inneren.
»Ich werde das sein, was ihr braucht«, sagte ich zu ihr, und es fühlte sich wie ein heiliges Gelübde an.
Nicht alle Vampyre kamen mit auf die Reise. Um die Wahrheit zu sagen, ich wollte niemanden von ihnen bei mir haben. Obwohl sie von meiner Art waren und ich sie im Strom spürte, fürchtete ich, dass die bevorstehende Reise anstrengend werden würde, und ich zog es vor, allein zu gehen.
Dennoch sagte Kiya zu mir, dass sie mitgehen und mir die Tore von Nahhash zeigen müsste. Ewen, von dem ich wusste, dass er mich liebte, wie es seit Alienora niemand mehr getan hatte, verlangte ebenso, dass er mich auf die Reise begleiten dürfte. »Ich habe geschworen, dein Diener zu sein«, sagte er. »Du bist nun meine Sonne. Mein Licht. Ich werde niemals von deiner Seite weichen.«
Von den Männern kamen Yarilo und Vali mit. Yset war die einzige andere Frau, die uns begleitete. Doch die anderen teilten die Vision oder Hoffnung nicht, sondern nah men ihr Los als Blutsäufer
hin, die sich so rasch bewegen konnten wie Löwen und eine größere Kraft besaßen als irgendein Mensch. Sie hofften nicht auf mehr und dachten nicht über die Auslöschung nach, die kommen würde.
Vielleicht habe ich durch meine Schilderungen den Eindruck vermittelt, dass unser Stamm stets einer Meinung war, denn der Strom vermittelte diese Illusion. Doch die Strömungen, die im Strom herrschten, enthüllten oftmals eine gewisse rebellische Haltung gegenüber Kiyas Leitung oder Misstrauen gegen meine Bestimmung als Maz-Sherah, an den zu glauben viele bereits vor Jahrzehnten aufgegeben hatten. Und dennoch waren wir eine Gruppe und fühlten, wie der Strom zwischen uns wuchs. Ich glaube, dies ist es, was es Vampyren gestattet, überhaupt zu überleben - denn wenn wir unter denjenigen unserer Art keinen Stamm gebildet hätten, so könnte uns die Welt der Sterblichen leicht vom Angesicht der Erde tilgen, einen nach dem anderen.
Wir sechs brachen beim Sonnenuntergang auf. Als wir einer Karawane begegneten, die ihr Lager an dem Gebirgspass jenseits unserer Heimat aufgeschlagen hatte, machten wir Halt und beschafften uns Vorräte. Zuerst tranken wir uns an zahlreichen Knaben satt, die sich um die Pferde und Kamele kümmerten. Dann nahmen wir zwei Männer gefangen, bei denen es sich um eine Art von Kaufleuten zu handeln schien - Türken aus dem Norden, wie Kiya betonte - und banden sie zusammen. Vali trug sie wie getötete Rehe auf dem Rücken und knurrte wie ein Wolf, wenn sie sich wehren wollten. Wir stopften ihnen Stofffetzen in den Mund, um ihre Schreie zum Verstummen zu bringen. Während wir schliefen - vorübergehend fanden wir Unterschlupf in Höhlen - ließen wir die Männer
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