Priester des Blutes
Geruch von Moschus und Öl, den ihr Leib verströmte.
»Was riechst du?«
»Alles, woran ich mich erinnere«, antwortete ich. »Alles, was ich von ihr kenne.«
»Dann stammt diese Vision aus der Zeit, kurz nach dem du fortgegangen bist. Vielleicht war es einige Monate später«, hörte ich seine Stimme sagen. Daraufhin wies er mich an, mich zu erheben und dieser Vision weiter zu folgen, in das Glas hinein. »Folge der Vision bis zu ihrem Ende«, ordnete er an. »Aber du musst dich davor hüten, die Vision zu zerbrechen. Sie ist so dünn wie die Flügel der Schmetterlinge, aber sie zieht sich immer mehr zusammen, wie ein Spinnennetz. Noch während du dich hindurchbewegst, hüllt sie dich mit ihren Fäden ein. Durch sie kannst du nicht zurückkehren.
Wenn du zur Rückkehr bereit bist, muss ihr Ende zerrissen werden, sonst wirst du dich in der Vision verlieren.«
Ich trat in das Rechteck meines Gesichtsfeldes ein, in dem ich nun einen Strom spürte, der wie kein anderer war. Er wirkte erstickend und schwer und dennoch von Einer flüssigen Konsistenz. Ich hörte Alienoras Stimme und dann noch andere Stimmen, die ich wiedererkannte. An dieser Stelle werde ich das niederschreiben, was ich dort sah und hörte, und mich mit dem Fluss der Ereignisse bewegen, so wie ich mich damals hindurchbewegte, denn ich kann all die Wahrnehmungen und Empfindungen nicht genauer beschreiben. Ich er innere mich, wie ich eine Reihe von Ereignissen in Alienoras Leben sah und hörte, die wohl eigentlich ein Jahr oder noch mehr Zeit umfassten, in meiner Vision aber weniger als eine Stunde dauerten.
»Etwas Schreckliches ist geschehen«, sagte Alienora, jäh aus einem Traum aufschreckend.
Sie setzte sich in einem Bett aus Stroh auf, auf dem nur eine einzige dünne Decke lag. Kerzenlicht flackerte im Inneren der Magdalenenhöhle. Ich war niemals zuvor im Inneren der Höhle gewesen, so dass mich erstaunte, wie gut sie im Laufe der Jahre ausgemeißelt worden war. Sie sah wie ein schmuckloses Haus oder eine sehr saubere Katakombe aus, denn durch die Öffnung zu Alienoras kleiner Kammer konnte ich erkennen, dass es entlang einem schmalen Gang noch andere Räume gab. Die Luft war weihrauchgeschwängert, ich empfand sie mehr und mehr als erstickend. Der Geruch war in vielerlei Beziehung überwältigender als der Anblick.
Eine der anderen Magdalenen setzte sich auf einen niedrigen Hocker neben Alienoras Bett. Sie brachte ihr in einer Schüssel das Wasser für die Morgentoilette.
»Er ist tot«, sagte Alienora. »Der Mann, von dem ich euch erzählt habe. Der Jüngling, den ich liebte. Er ist gestorben.«
»Du darfst diese Träume nicht beachten, Schwester. Sie wurden dir nicht von Gott oder Seinen Engeln gesandt. Ich fürchte, sie werden dich krank machen«, erklärte die Ordensschwester. Ihre Augen weiteten sich immer mehr, und an ihrem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass Träume in diesem Nonnenorden eine große Bedeutung besaßen.
»Meine Sünden waren groß«, stimmte Alienora zu. »Die Höllengeister senden mir diese Träume der Verdammnis. Doch sie sind wahr. Ich kann sie nicht vergessen. Nicht wenn sie von demjenigen handeln, dem ich meine Liebe geschworen habe.«
»Du sollst nicht von solchen Dingen sprechen«, entgegnete die Nonne. »Nimm deine Zuflucht zu Unserer Lieben Frau. Lege diese Blasphemien deiner Jungmädchenzeit ab. Hast du seinetwegen nicht bereits genügend Schuld auf deine Seele geladen? Wenn er tot ist, so überlasse ihn dem Teufel. Er hat dir nichts als Kummer gebracht.« Die Nonne streckte die Hand aus und um fasste damit diejenige von Alienora. »Nun führst du hier ein neues Leben. Überlasse das alte und den, der dich entehrte, den Engeln. Dein Leben als Tochter des Barons war ein Leben des Fleisches. Dein Leben als Magdalene ist eines des Geistes.«
»Ich fürchte um seine Seele«, flüsterte Alienora, indem sie sich dem Griff der Nonne entzog. »Schatten raunen mir Dinge über Dämonen zu. Seit ich her kam, habe ich sie gehört. Sie er zählen mir, dass böse Dämonen von seiner Seele Besitz ergriffen haben.«
»Träume können Prophezeiungen bringen«, meinte die Ordensschwester. »Doch wir können hier gemeinsam beten. Wir können für all die Seelen beten, die wir an den Teufel verloren haben.«
»Er kämpft nun seit vier Monaten im Krieg«, sagte Alienora. Ihr Gesicht wurde aschfahl, und sie umklammerte das kleine Kreuz um ihren Hals. Dann küsste sie es. »Die Schatten zeigen mir solche
Weitere Kostenlose Bücher