Priester des Blutes
schlug auf die Zweige ein. Sie hingen voller Beeren, von denen mir gesagt worden war, dass ich sie in meinem Leben niemals anrühren sollte. Dann, nachdem wir diesen Wachtposten der Natur überwunden hatten, erblickten wir beide die uralte Steinmauer. In ihrem Mauerwerk befanden sich mehr Lücken als damals, als ich noch jünger gewesen war, und die Kletterpflanzen und der Farn, die sie über wucherten, hatten sie beinahe ganz verschlungen.
»Es ist nicht mehr weit«, teilte ich Kenan mit, rannte zu der Mauer und kletterte über sie hinüber. Auf der anderen Seite der Steine warf ich einen Blick auf die dicht stehenden Bäume und machte den Hügel aus findig, von dem ich glaubte, dass es sich bei ihm um den Brunnen handelte. Als Kenan und ich bei ihm angekommen waren, sagte er: »Das ist eine Teufelsquelle.«
Ich lachte, er aber holte mit der Hand aus und schlug mich so
fest, dass ich zu Boden fiel. Mir die Wange reibend, blickte ich zu ihm auf.
»Das ist der Brunnen, von dem ich gehört habe«, sagte er. »Er wurde vor so langer Zeit verschlossen, dass ich dachte, es handle sich bei ihm lediglich um eine Legende. Und du meinst, auf seinem Grund befinde sich ein Greif?«
Ich nickte, unsicher, ob ich mich ihm wieder nähern sollte oder nicht. »Ich habe ihn ein mal gehört. Er schrie, doch das Geräusch war nur schwach.«
Er beugte sich über den Hügel und zog die Kletterpflanzen, die ihn überwucherten, fort, indem er sein Messer verwendete, um die Wurzeln von nahe stehenden Bäumen abzuschneiden. »Komm hierher!«, brüllte er. »Junge, komm her!«
Ich tat, wie mir gesagt wurde, und lief zu ihm, um ihm dabei zu helfen, den Brunnen von den Pflanzen zu befreien. Hatte es einst einen Verschluss an diesem Brunnen gegeben, der die Öffnung versperrte, so war er schon lange verschwunden. Stattdessen starrten wir beide hinab in seine Dunkelheit. Ein Gestank, der keinem anderen ähnelte, den ich zuvor er lebt hatte, stieg aus diesem Loch auf.
Er wisperte, als habe er Angst, belauscht zu werden: »Bist du sicher, dass es darin einen Greif gibt?«
Ich nickte und flüsterte ihm zu: »Er hat eine riesige Flügelspannweite. « Um es ihm zu beweisen, lehnte ich mich über den Rand des Brunnens und schrie: »Greif!«
Das Echo meiner Stimme wurde zu mir zurückgeworfen und verhallte dann.
Ich beobachtete die runde Dunkelheit und dachte, wenn ich meinem Wohltäter nicht beweisen könnte, dass es meinen Greif wirklich gab, würde er mich wahrscheinlich an den Beinen hochziehen und als Bestrafung für die Lüge in den Brunnen werfen.
Als wir beide aber lauschten, ertönte aus der Tiefe des Brunnens ein Geräusch.
Es war ein schwaches »Uuuu«, und dann erklang ein Schrei, bei dem es sich wahrhaftig um das Krächzen eines großen Vogels handeln konnte.
Kenan rief eine Gruppe zusammen, die am nächsten Tag hinaus in den Wald gehen sollte, wobei ich, der Anführer der Jagd, zu Fuß neben ihnen herzulaufen hatte. Statt einfach nur die Dornensträucher der Waldtür zu beschneiden, brachten sie mittags Fackeln dorthin und brannten den größten Teil davon nieder. Es gelang ihnen, das Feuer im Zaum zu halten, so dass nicht der ganze Wald in Flammen aufging. Was zuvor die Waldtür gewesen war, war nun verwüsteter, geschwärzter nackter Boden, der noch immer qualmte, als ich hindurchwanderte.
Ich dachte schon, einen Fehler begangen zu haben, indem ich den Jäger dorthin geführt hatte. Unter seinen Jägern nahm ich einen seltsamen Blutdurst wahr. Sie schossen Pfeile auf Kaninchen und andere kleine Tiere, die ihnen begegneten, und ließen die sterbenden Wesen dort zurück, wo sie lagen - es war ein Töten zum Vergnügen, das ich niemals begriff, in Anbetracht des Hungers und der Armut meiner eigenen Kindheit. Als sie dann die antike Mauer erreichten, wünschten sie hindurchzureiten, statt einfach hinüberzuspringen. Also musste ich mit mehreren dieser Burschen dabei helfen, Steine aus der Mauer zu brechen, was schwere Arbeit bedeutete und meinen Körper wie meinen Geist erschöpfte. Dennoch eilten wir weiter und gelangten schließlich bis zu dem Brunnen.
Kenan war der Erste, der von seinem Ross abstieg, danach folgte ein junger Mann namens Reinald, der erst kürzlich geheiratet hatte und aus den südlichen Ländern gekommen war, um seine Mitgift einzufordern und eine Stellung am Hofe des Barons anzutreten.
Er nahm das Netz von seinem Pferd herab, und dann auch einen Dreizack aus Eisen, der, wie er uns erzählt hatte,
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