Priester des Blutes
Berührung spürte ich Wärme und Furcht.
Ich hielt den Atem an, als ich ihre Mutter sah, die zusammengesunken auf dem Bette lag, als schwinde sie allmählich dahin. Sie schien viel älter zu sein, als es eine Frau sein dürfte, die die Mutter von Kindern war, von denen keines älter als neun zehn Jahre zählte. Doch auf ihrem Gesicht zeigte sich ein schwaches Lächeln. In seinem Käfig neben ihr saß Luner, der Vogel, den ich abgerichtet hatte.
Die Baronin krümmte einen Finger, um mich zu sich zu rufen, und ich beugte mich zu ihr hinunter, um sie verstehen zu können. Sie wisperte: »Ich danke dir, dass du mir diesen Sonnenschein gebracht hast, in ein Gemach, das so dunkel war.«
Ich fühlte mich besser, als es lange Zeit der Fall gewesen war, während ich dort stand, dem Vogel beim Sprechen zuhörte und das matte Lächeln auf dem Gesicht der alten Dame sah. Alienora betrachtete mich, als hätte ich ihr soeben das wunderbarste Geschenk gemacht, das sie je erhalten hatte. Eine einzelne Träne, wohl ein Diamant, entstanden aus einer Verschmelzung von Kummer und Freude, rollte ihr die Wange hinab. Ich stand bis in die Nacht neben dem Bett und sprach mit der Baronin über den Großen Wald, die Vögel und die Marschen.
Zu der Zeit, als ich ein Alter von siebzehn Jahren erreicht hatte, war ich nach Ansicht vieler Leute zu hoch im Rang aufgestiegen. Ein Dreckspatz war nicht dazu bestimmt, ein Falke zu sein. Die anderen wurden neidisch auf diesen Bauernknaben, der mittlerweile feinere Kleidung trug, der die Falken abrichtete, bei denen es sich um die Lieblingstiere des Barons handelte, der sogar einen Falken abgerichtet hatte, der als Geschenk zu einem ausländischen Fürsten geschickt worden war, und der nun sogar »Falkner«
genannt wurde. Ich hatte einen großen Teil meiner Kindheit hinter mir gelassen, als ich bewusst versuchte, das zu werden, was ich als besseren Menschen empfand. Obwohl ich meiner Mutter und ihren Kindern noch immer Nahrungsmittel zukommen ließ, verbrachte ich keine Zeit auf dem Feld, um sie aufzusuchen. Ich war gefühllos und mein Leben ein wenig leer geworden, und mein Hass auf Corentin regierte mein Herz manch mal mehr als meine brennende, aber unerwiderte Liebe zu Alienora.
Ich konnte den Neid manch anderer spüren, die in meinem Alter waren, wenn ich gerufen wurde, um mich um den Vogel der Baronin zu kümmern, oder wenn ich während der Jagd auf einem Pferd neben dem führenden Jäger herritt, zwei Falken in Bereitschaft auf meinen Armen. Kenan Sensterre war mir während dieser Jahre fern geblieben, aber niemand konnte meine Fähigkeiten auf dem Pferderücken und mit den Falken leugnen. So blieb er ein zwar entferntes, aber wohlwollendes Gegenüber während der Jagd.
In diesen Jahren war der Aberglaube über die Leute vom Lande auf dem Vor marsch, und als das Dorf größer wurde, baute man eine Steinmauer zwischen ihm und dem Feld, wodurch Familien wie die, aus der ich stammte, und diejenigen von einem höheren gesellschaftlichen Rang noch weiter voneinander getrennt wurden, trotz der allgemeinen Armut der gesamten Gegend.
Die Erinnerungen an mich selbst aus dieser Zeit gefallen mir nicht sonderlich: Ich war zu Stein geworden, um mir das Wohlwollen von anderen zuzuziehen und mir eine Karriere aufzubauen, wie sie einem Jüngling auf diesem gnadenlosen Terrain offenstand, wo man für einen gestohlenen Laib Brot hingerichtet werden konnte. Einst war ich ein Knabe voller Liebe und Leben gewesen, der Knabe, der seinen Großvater liebte, der ihm Geschichten erzählte, der mit Vögeln sprach und sie so liebte wie den Wald. Ich war zu einem Produkt des Hofes geworden, zu einem Produkt
von Mauern, von Kammern. Ich war unehrlich geworden, auf die Art, wie es bei denjenigen der Fall ist, die die Regeln zu streng befolgen - ich schob gerne anderen die Schuld für geringfügige Sünden zu und war schnell bereit, mich höhergestellten Personen zu unterwerfen, um im Rang aufzusteigen.
Manchmal machte ich mir Sorgen, dass meine Seele hohl werden würde, während ich versuchte, meinen Wurzeln zu entkommen. Ich hatte schon fast vergessen, dass ich überhaupt je aus dem Wald und von den Marschen gekommen war. Ich kann diesen Jüngling nicht zu hart verurteilen, denn er lebte in einer Welt voller Ratten und Läuse, die als adlige Herren und Damen verkleidet waren, voller Bediensteter, die ihn aufschlitzen würden, wenn das ein Stück Brot und eine Matte in der Nähe des Feuers bedeutete. Der Knabe
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