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Priester des Blutes

Priester des Blutes

Titel: Priester des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Clegg
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feurig gelbe Erinnerung zu sein und besaß kein feminines Merkmal, an das ich mich erinnern konnte. Die Gesichter meiner Feinde waren mir nachhaltiger im Gedächtnis, von Corentin über den Baron und Kenan Sensterre bis hin zu den Ungläubigen. Selbst unsere Kommandanten schienen mir Feinde zu sein, denn sie hatten uns hierhergeführt.
    Es gab nur eine einzige Erinnerung in mir, die ein Lichtblick für mich war, doch auch sie schien jetzt beinahe tot: Alienoras liebliches, reines Gesicht, so wie ich es zu letzt gesehen hatte, als ich ihre Lippen geküsst hatte. Doch sie würde mich niemals wiedersehen. Diejenigen, die Macht und Einfluss über andere besaßen - sowie Gott und die Götter - hatten befohlen, dass jedwede Liebe, die ich in meinem Herzen für sie empfand, dahinwelken und sterben würde, so wie meine Liebe zur ganzen Menschheit sterben musste.
    Die Geräusche der Erde verstummten für einen Augenblick.
    Ich hasste die ganze Menschheit. Ich hasste ihre Taten. Ich hasste auch die Tatsache, dass ich, ver flucht bereits seit meiner Geburt,
in einer Zeit und an einem Ort geboren worden war, die mich, meinen Bruder und meinen Freund zu Gunsten der Ritter in diese Hölle geschickt hatten. Für Leute wie den Baron, der zugesehen hatte, wie meine Mutter verbrannte, aber einen Vogel für seine kranke Ehefrau abrichten ließ, und der Alienora von mir fernhielt. Ich brannte vor Zorn auf diese Welt - die Welt, so wie Gott sie gewollt hatte, und die alle so hinnehmen mussten. Ich hasste es, dass ich nicht mehr vom Leben erwarten konnte und dass das Leben mir auch nicht mehr zu bieten haben würde, dass selbst im kommenden Leben die Könige, Herzöge, Barone und Ritter ihre Macht behielten, während Leute wie ich bis zum Ende aller Tage Diener bleiben müssten.
    Ich spürte, wie mich mitten in diesem Zorn ein Fieber ergriff. In meinen Ohren setzte ein Klingeln ein und verdrängte alle anderen Geräusche. Die Welt schien so weiß zu werden wie Schnee. Ich roch brennendes Eichenholz, als säße ich im Großen Wald an einem Lagerfeuer. Wurde ich blind? Taub? Warum konnte ich nur ein fernes Klingeln hören, als ob eine Glocke läutete, in einem lang gezogenen Ton? Woher stammte das Licht, das an meiner Vorstellung von der Welt zerrte? Dann hörte ich eine fremde Stimme, fast, als flüsterte sie in meinem Inneren. Allmählich wurde sie lauter. Es war eine Frau, nicht Alienora, sondern eine Fremde. Komm nach Hause, sagte sie, und ich versuchte mich zu erinnern, wo ich diese Stimme zuvor schon gehört hatte, doch ich konnte es nicht. Sie sprach die Alte Sprache, aber ich erinnerte mich nicht daran. Dieses Phantom in meinem Inneren sagte drei Worte, wieder und wieder: Komm nach Hause.
    Dann war der Augenblick vorüber. Der Geruch nach blutigen Toten, nach Schweiß, nach menschlichem Leid, all dies tauchte wieder um mich herum auf. Noch immer stieg Staub auf und löschte den Anblick der Tore der großen Stadt vor unserer Menge aus, einer Stadt, in der es angeblich Reichtümer gab. Die Männer
um mich herum bejubelte ihre Helden, indem sie Freudenschreie und Schlachtrufe über die Schlacht ausstießen, die sie unbestreitbar gewonnen hatten.
    Der Knabe, Thibaud, fand mich neben dem zerrissenen Banner, das unsere Männer zwischen unseren Toten gehisst hatten. Ganze Haufen von Leichen lagen dort, wie für das Festmahl irgendeines fürchterlichen Dämons aus der Hölle drapiert. Der Knabe suchte unter den Sterbenden. Nach einer Weile trabte er zu mir herüber und hob einen mit Wasser gefüllten Schlauch in die Höhe. »Seid Ihr verletzt?«
    »An der Schulter«, antwortete ich.
    Thibaud ließ seine Hände sowohl über meine Arme als auch über meine Schulter gleiten und tastete sie ab. Er zerrte an meinem Kittel, bis ich mit entblößter Brust da lag. »Da gibt es keine neue Schnittwunde. Ihr habt bloß eine alte Narbe.«
    Was für eine Zauberei der Ungläubigen ist das?, dachte ich. Denn ich war mir sicher, dass ich bei den Kämpfen an diesem Tag eine Wunde davongetragen hatte. An eine alte Narbe konnte ich mich überhaupt nicht erinnern. Als er allerdings den Rand von ihr berührte, fielen mir die Prügel durch Corentin ein, die ich erhalten hatte, bevor meine Reise in diese Wüstenhölle begonnen hatte.
    Die alte Wunde hatte sich wieder geöffnet, und wenn ich noch länger leben würde, würde sie jedes Jahr meines Lebens vergiften.
     
    Als ich später wieder einige Kräfte gesammelt hatte, griff ich nach Thibaud Dustifot, damit er

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