Princess 01 - Widerspenstige Herzen
schäumendes Getränk. »Zu Ehren der Offenbarung gibt's für jeden eins umsonst«, schmetterte er. »Umsonst vom Ehrenwerten Abbe, dem besten Wirt in Plaisance!«
Die Leute standen um ihr Gratisgetränk Schlange, und Evangeline reihte sich mit ein. Sie war im Laufschritt nach Plaisance gerannt, hatte dabei ständig über ihre Schulter geschaut und versucht, die Schmerzen in ihrem wunden, kaum verheilten Fuß zu ignorieren. Jetzt war sie erhitzt, durstig und hungrig, ängstlich und eingeschüchtert.
London war für das Landkind Evangeline wie eine Offenbarung gewesen. Groß, geschäftig, übel riechend und so schmutzig von schwarzem Ruß, dass sie es nicht gewagt hatte, ihre weißen Handschuhe anzuziehen.
Plaisance war ganz anders. Plaisance war schön. Die Berge schützten und wärmten die Stadt, die sich zu beiden Seiten des Plaisance ausdehnte, wie die liebevolle Hand einer Mutter. Hier in Plaisance stand die mittelalterliche, gotische Steinbrücke von himmelstürmender Größe, die Baminia und Serephina miteinander verband. Hier trafen sich die Menschen und verschmolzen zu einem Volk. Freier Handel war wichtiger als alte Fehden. Zahllose Geschäfte säumten die gepflasterten Straßen, und Evangeline bewunderte hingerissen die liebevoll gearbeiteten, goldenen Schmuckstücke und feinen Schneiderarbeiten der serephinianischen Handwerker. Dann ging sie über die Brücke, schlenderte umher und besah sich baminianische Töpferwaren und Schuhwerk.
Als Königin an Daniors Seite könnte sie durch diese Straßen laufen, wann immer es ihr gefiel, und kaufen, was sie wollte; sie könnte mit den Menschen sprechen und ihre Hoffnungen, Träume und Ängste ergründen. Plaisance wäre ihr Zuhause. Sie hätte eine Familie. Sie würde dazugehören.
Genug , schalt sie sich. Suhle dich nicht in deiner Einsamkeit. Denk über deine Pläne nach ... wie fade sie auch sein mögen.
Die Ladenbesitzer wohnten direkt über ihren Läden, aber heute hatten sie geschlossen. Sie gingen selbst auf die Leute zu, zogen mit ihren Karren durch die Straßen und trieben ihren Spaß mit den Gauklern. Evangeline war schon vor Händlerfamilien geflüchtet, die Bilder von der Offenbarungszeremonie und der Hochzeit Daniors mit Ethelinda feilboten.
Aber niemand hatte ihr etwas zum Kauf angeboten. Die meisten vermieden es, sie anzusehen; nur ein paar Leute hatten interessiert ihre zerfetzten Kleider betrachtet. Eine Frau hatte laut gesagt: »Man sollte doch glauben, dieses Landvolk habe genug Anstand, unsere Straßen nicht mit seiner Anwesenheit zu verunstalten. All diese Leute - warum gehen sie nicht wieder dahin zurück, wohin sie gehören?«
Wie könnten sie, hätte Evangeline am liebsten gefragt. Nachdem die schlechten Ernten die Armut noch vergrößert hatten, konnten sich viel zu viele nur noch in Lumpen hüllen, um verzweifelt und erwartungsvoll durch die Straßen zu ziehen. Wenn morgen nicht die Kristallschatulle geöffnet wurde und die Menschen auf bessere Zeiten hoffen konnten, waren sie reif für Dominics Revolution.
»Es heißt, sie sei im Fluss ertrunken« , erklärte die Frau, die hinter Evangeline um das Getränk anstand.
»Ich habe etwas anderes gehört«, tratschte ein anderer. »Sie soll mit dem hübschen Dominic auf und davon sein.«
»Ein Prinz, der sein Weib nicht beherrscht, kann auch kein Land regieren«, ließ einer grob und verächtlich hören.
Evangeline bedeckte ihr Gesicht halb mit der Hand und nahm das Bier entgegen, das der Ehrenwerte Abbe ihr reichte.
Er schaute sie von oben bis unten an und witzelte: »Von Ihnen würde ich auch für das zweite kein Geld verlangen.« »Nein, aber haben Sie Dank.« Sie setzte den Krug an und leerte ihn in einem Zug.
Der Abbe beobachtete sie und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Eine Straße weiter verteilt der Redliche Gaylord süßes Gebäck. Ein Stück ist gratis. Sagen Sie ihm, dass ich Sie geschickt habe, dann gibt er Ihnen ein großes Stück.«
»Danke.« Sie lächelte und gab den Krug zurück.
»Sie sind Serephinianerin, oder?«
»Ich schätze, ja«, antwortete sie bedächtig.
»Sie erinnern mich an eine Frau, die ich einst kannte.«
Evangeline trat einen Schritt zurück.
»Ich vergesse niemals ein Gesicht.« Er griff sich an die Stirn. »Lassen Sie mich nachdenken.«
Sie trat noch einen Schritt zurück, dann rannte sie um die nächste Ecke.
»He!«, hörte sie ihn rufen. »Jetzt weiß ich es wieder. Kommen Sie zurück!«
Evangeline rannte in Panik davon.
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