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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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einer Stelle, wo die Fahrrinne mehr als zwanzig Meilen breit und nur noch dem Namen nach ein Fluss war. Die gesamte östliche Hälfte des Horizonts bestand aus Meer, ganze hundertachtzig Grad Hohn für den armen Kapitän. Als Caroline Ursel fragte, was sie denn jetzt tun sollten, belehrte Ursel sie, dass er nicht befugt sei, eine Meinung zu äußern, da er Schiffskapitän, die Sophia aber kein Schiff mehr, sondern ein Wrack sei, das nicht dem Haus Hannover gehöre, sondern dem Erstbesten, der zufällig vorbeikomme, um es zu bergen. Dann zog er sich mit einer Flasche Gin in seine Kabine zurück.
    »Nun, ich kenne mich zwar im Seerecht nicht aus«, sagte Caroline, »aber das hier sieht mir eher nach Meer als nach Fluss aus. Ich würde sagen, wir befinden uns auf hoher See und kümmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten.«
    »Wir sind auf Grund gelaufen «, beharrte Johann.
    »Dann waren wir auf hoher See und haben uns um unsere eigenen Angelegenheiten gekümmert«, erwiderte Caroline, »als die böse Brigg des Weges kam und uns zwang, auf Grund zu laufen. Das ist ein Akt der Piraterie.«
    Johann verdrehte die Augen.
    »Wir waren auf einer Lustfahrt von Antwerpen aus, als es passierte«, fuhr Caroline fort.
    »Wie, und hatten rein zufällig die Nordsee überquert?«
    »Waren in der Nacht durch diesen ungewöhnlichen Ostwind vom Kurs abgebracht worden. Passiert immer wieder. Komm, sei nicht so stur! Letzte Nacht in London hast du zu mir gesagt, ich müsste Taten vollbringen, die außerhalb deines Kompetenzbereichs lägen. Die Geschichte umzuschreiben ist ein königliches Vorrecht, oder?«
    »Wenn man viel Geschichte liest, könnte man das meinen.«
    »Was glaubst du, wer die einfallsreichere Schreiberin ist, Königin Anne oder die Frau, die hier vor dir steht?«
    »Der Lorbeerkranz geht an dich, Liebes.«
    »Sehr gut. In einer Truhe unter Deck liegt eine Hannover’sche Fahne. Hisse sie am Mast. Lass uns Flagge zeigen, damit alle vorbeifahrenden Schiffe deutlich sehen, welch grobe Piraterie heute von der Royal Navy begangen wird!« Und sie nahm am Bug eine ausgesprochen königliche Pose ein, während sie mit einem Arm auf die sich vor ihnen ausdehnende Wasserfläche deutete, die mit den Segeln großer Schiffe gesprenkelt war.
    »Wenn es Eurer Königlichen Hoheit beliebt«, sagte Johann.
    »Das tut es. An die Arbeit!«
    Als Reaktion auf das Stranden der Sophia musste die Brigg gewisse Manöver durchführen, die sie fast eine halbe Stunde in Beschlag nahmen: Sie musste ihre Wende abbrechen, beidrehen, Segel reffen und langsam bis zu einem Punkt in tieferem Wasser ungefähr eine halbe Meile entfernt vorstoßen, wo sie lange genug bleiben konnte, um ein Beiboot zu Wasser zu lassen, ohne fürchten zu müssen, dass Wind, Strömung oder Gezeiten sie auf Grund setzten. Bis das alles abgeschlossen war, hatte die Sophia eine ganz Reihe Hannover’scher Flaggen an ihrem ansonsten nackten Mast gehisst. Und das schien dem Kapitän der Brigg zu denken zu geben. Das Wappen des Hauses Hannover war dem der britischen Königsfamilie so ähnlich, dass man sie aus dieser Entfernung nicht unterscheiden konnte. Die Brigg mochte der Schaluppe mit geöffneten Stückpforten und ausgefahrenen Kanonen drohen; Prinzessin Caroline hatte ihrem Kapitän jedoch soeben eine geladene Pistole an die Schläfe gesetzt.
    In der Nacht war vielleicht ein von Bolingbroke in London losgeschickter Bote in das Fort bei Sheerness galoppiert und hatte dem Mann den Befehl präsentiert, die Mündung nach einer bestimmten Schaluppe abzusuchen und die ausländischen Spione darauf festzunehmen. Was zu dem Zeitpunkt durchaus nachvollziehbar gewesen sein mochte. Bolingbrokes Siegel, das an dem Dokument baumelte, das erschöpfte Postpferd, das schnaufend draußen stand, der vollgespritzte Bote mit seinen geröteten Augen, das dringende Sendschreiben mitten in der Nacht: genau das, wonach ehrgeizige Marineoffiziere lechzten. Heute Morgen hatte er seine Pflicht ohne Tadel erfüllt. Doch jetzt war irgendetwas schiefgegangen: Er hatte eine Gelegenheit zum Denken bekommen. Das königliche Wappen, das sich am Masttopp der gestrandeten Schaluppe kräuselte, gab ihm einiges, worüber es nachzudenken galt, und zwar gründlich.
    Das Beiboot der Brigg wurde zu Wasser gelassen, aber nicht bemannt. Dann wurde es mit Ruderern bestückt; auf dem Schandeck schien derweil eine Diskussion darüber im Gange zu sein, welche Offiziere es besteigen sollten. War das ein Enterkommando? Ein

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