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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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sagen wir es so: durch dieselbe Kraft gebunden sein könnte, die die Erde in ihrer Kreisbewegung hielt. Isaacs Triumph bestand darin, zu erkennen, dass all diese Phänomene einer einzigen Ursache zugeschrieben werden konnten, die überall auf dieselbe Weise wirkte. Nun haben mich Isaacs alchimistische Forschungen lange Zeit verblüfft, aber mit den Jahren habe ich erkannt, dass ihm ein ähnlicher Triumph beschert würde, wenn er eine einzige, allen gleichermaßen zugrunde liegende, gemeinsame Erklärung für Phänomene fände, die wir als unterschiedlich und in keinem Zusammenhang stehend wahrnehmen: Willensfreiheit, die Anwesenheit Gottes im Universum, Wunder und die Transmutation chemischer Elemente. In dem mit Absicht unverständlich gehaltenen Jargon der Alchimisten kennt man diese Ursache, dieses Prinzip oder wie immer man es nennen will, als Stein der Weisen; andere Bezeichnungen dafür sind Philosophisches Merkur, Agens vitalis, innewohnender oder subtiler Geist, heimliches Feuer, stoffliche Seele der Materie, unsichtbarer Bewohner, Lichtkörper, Same, ursprüngliches Wesen.«
    »Da vermischt Ihr eine Reihe verschiedener Gedanken«, sagte Isaac, »aber das beweist zumindest, dass Ihr meine Aufzeichnungen durchgelesen habt, ehe Ihr sie verbrannt habt.«
    Das machte Caroline für einen Augenblick sprachlos; dann gewann ihre Neugier wieder die Oberhand. »Was ist dieses Agens, dieser Geist? Habt Ihr ihn gesehen, Sir Isaac?«
    »Ich sehe ihn jetzt, in den Gefühlen und Gedanken, die über Euer Gesicht huschen, Hoheit. Seine Wirkung sehe ich überall«, lautete Newtons etwas ausweichende Antwort. »In der Natur nehme ich zwei Wirkungsprinzipien wahr: das mechanische und das vegetabile . Mit mechanisch meine ich natürlich genau das, worüber die Doktoren Waterhouse und Leibniz zuvor gesprochen haben: das Uhrwerk, um es mit einem Wort zu sagen. Mit vegetabil meine ich nicht Steckrüben. Das ist eine neue, volkstümliche Bedeutung des Wortes. Ich benutze es im früher gebräuchlichen Sinne von etwas Belebtem, Lebendigem,Wachsendem. Es beschreibt fruchtbringende und schöpferische Prozesse. Uhren, selbst gute, laufen ab und verschleißen. Die mechanische Welt zerfällt. Diese Tendenz zum Zerfall muss durch ein schöpferisches Prinzip ausgeglichen werden: das lebendige Samenkorn – den subtilen Geist. Eine unvorstellbar kleine Menge davon, die auf einen weitaus größeren Klumpen fader, toter, unbelebter Materie einwirkt, zeitigt gewaltige, ja unglaubliche Transformationen, denen ich die allgemeine Bezeichnung Vegetation gegeben habe. So wie das allgemeine Prinzip der Schwerkraft sich auf verschiedene charakteristische Weisen zeigt, etwa bei den Gezeiten, den Kometenbahnen und den Flugbahnen von Geschossen, so ist das vegetative Prinzip von denen, die wissen, wie sie danach suchen müssen, an verschiedenen Orten wahrzunehmen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Eine aus künstlichen Muskeln hergestellte Flugmaschine wäre eine mechanische Vorrichtung, deren Schicksal meiner Überzeugung nach darin bestünde, abzustürzen wie die Leiche eines Vogels, der im Fluge gestorben ist. Würde diese Maschine losfliegen – das heißt jede Luftbewegung spüren und richtig darauf reagieren -, würde ich das letztendlich dem Wirken von so etwas wie einem vegetativen Prinzip zuschreiben. Aber Daniel hat recht, wenn er meint, dass das auch mit Dingen wie Seelen, Wundern und ganz bestimmten der umfassenderen und verblüffenderen chemischen Verwandlungen zu tun hat.«
    »Aber glaubt Ihr denn, dass da letztlich irgendeine körperliche Substanz am Werke ist – etwas, das man berühren und beobachten könnte?«
    »Ja, das glaube ich, und ich habe auch danach gesucht. Und ich glaube, ich weiß, wo etwas davon zu finden ist«, sagte Isaac und drehte sich mit einem finsteren Blick zu Daniel um. Die Prinzessin bekam das jedoch nicht mit, da sie sich gerade Leibniz zuwandte. »Baron von Leibniz«, sagte sie, »ist Eure Ansicht mit der von Sir Isaac in Einklang zu bringen?«
    Leibniz seufzte. »Es ist … misslich«, sagte er. »In meinen Ohren klingt das alles wie das Nachhutgefecht eines guten Christen, der vor dem Angriff der mechanistischen Philosophie zurückweicht.«
    »Es könnte falscher gar nicht sein!«, fauchte Newton. »Es gibt das Mechanische, und es gibt das Vegetabile. Ich untersuche beide.«
    »Aber Ihr habt das Feld bereits zur Hälfte dem Mechanischen überlassen!«
    »Von überlassen kann gar keine Rede sein, Sir. Habt Ihr meine

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