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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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stromaufwärts, das Gesicht klugerweise dem entgegenkommenden Verkehr zugewandt und mit der rechten Hand Fühlung zu Häuser- und Ladenfronten haltend, falls man ihn zwänge, sich durch einen raschen Sprung in einen Eingang zu retten. Bald hatte er St. Dunstan-in-the-West hinter sich gelassen. Der Inner und der Middle Temple lagen nun zu seiner Linken, auf der anderen Seite der Fleet Street, hinter einer Wand neuerer Gebäude verborgen. Diese beherbergten hauptsächlich Pubs und Kaffeehäuser, die von den Zeitungen fortwährend zur Zielscheibe neckischer, aber verwirrender Anspielungen und beißender, aber undurchsichtiger Satire gemacht wurden.
    Bald hatte er Temple Bar durchschritten. Der Weg – der nun The Strand hieß – gabelte sich in einen Hauptstrang zur Linken und einen Nebenstrang zur Rechten, sodass eine längliche, zentrale Insel mit ein paar Kirchen darin entstand. Daniel nahm den schmaleren Weg – im Grunde nur eine Reihe zuammenhangloser, grob miteinander verbundener Straßenfragmente – und gewann die Überzeugung, dass er sich verlaufen hatte. Die Gebäude wurden von Luftschlitzen auseinandergehalten, die zu schmal waren, um den Namen »Gasse« zu verdienen, aufs Geratewohl nach links und rechts kurvten und auch dann nicht geradlinig verliefen, wenn das möglich gewesen wäre. Der Brand hatte diesen Stadtteil verschont, wahrscheinlich weil die Rolls und der Temple mit ihren weitläufigen Rasenflächen wie Feuerschneisen gewirkt hatten. Hooke hatte in seiner Eigenschaft als Bauinspektor keine Vollmacht bekommen, den Stadtteil aus dem Mittelalter herauszuführen. Die alten Wegerechte waren so heilig oder zumindest so unanfechtbar wie die Vorschriften des Common Law. Irgendwo zwischen ihnen gab es einen alten und daher mit niedriger Decke ausgestatteten Raum, den ein Drucker, Mr. Christopher Cat, erworben und zu einer Einrichtung mit Namen Kit-Cat Clubb gemacht hatte.
    Ich habe mit Mr. Cat über Euch gesprochen, hatte Roger ihn in einem unter der Tür hindurchgeschobenen Briefchen wissen lassen. Wenn Ihr Euch hinausbegebt, schaut auf eine Erfrischung bei unserem Club vorbei. Beigelegt war eine flüchtig hingeworfene Karte, die Daniel nun aus der Tasche zog und zu interpretieren versuchte. Es war sinnlos. Doch gleich darauf war er imstande, den Weg zum Kit-Cat Clubb einfach dadurch zu finden, dass er den Kutschen von Parlamentsabgeordneten der Whigs folgte.
    Das Gebäude war eindeutig in einer Epoche der englischen Geschichte errichtet worden, in der Nahrungsmittel und Baumaterial knapp gewesen waren, denn Daniel, der von durchschnittlicher Größe war, konnte kaum darin stehen, ohne sich an einem Deckenbalken zu stoßen. Dementsprechend waren die Gemälde, die Mr. Cat als Wandschmuck in Auftrag gegeben hatte, allesamt von bizarr großer Breite und geringer Höhe. Damit waren Porträts ausgeschlossen, es sei denn Porträts von sehr großen, aus ungeheurer Entfernung gesehenen Gruppen. Von diesen zeigte das größte und an prominentester Stelle aufgehängte die erlauchte Mitgliederschaft des Kit-Cat Clubb. Roger nahm die vordere Mitte ein, in seiner besten Perücke, die mit einem dicken, hufeisenförmigen Klacks des Pinsels eingefangen worden war.
     
    »Lösen wir endlich das Längengradproblem!«
    Er war derselbe Roger in einem viel älteren Körper. Nur seine Zähne sahen jung aus, weil sie es waren; sie konnten erst vor ein paar Monaten geschnitzt worden sein. Außer mental und dental war er in jeder Hinsicht heruntergekommen. Er machte es durch Kleidung wett.
    Daniel blies ein paar Momente lang auf seine Schokolade, um sie abzukühlen, ohne dass sich eine schrumpelige Haut darauf bildete. Vor lauter Whigs in Perücken, die sich gegenseitig anbrüllten, konnte er sein eigenes Wort nicht verstehen. »Die Königin hat erst vor zwei Stunden das Parlament eröffnet«, erinnerte er Roger, »jedenfalls habe ich das gehört, und sie hat völlig vergessen, über das banale Detail zu reden, wer ihr nach ihrem Hinscheiden nachfolgt. Und Ihr wollt über das Längengradproblem plaudern.«
    Der Marquis von Ravenscar verdrehte die Augen. »Das ist schon vor Äonen geregelt worden. Sophie oder Caroline werden ihr nachfolgen -«
    »Ihr meint, Sophie oder Georg Ludwig.«
    »Seid kein Narr. Damen regieren Europa. Der Spanische Erbfolgekrieg wurde komplett von Frauen geführt. In Versailles Madame de Maintenon. In Madrid ihre beste Freundin, die Princesse des Ursins, Camarera Mayor des bourbonischen Hofes von

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