Prinz der Düsternis
schrecklichen Prinzen leibhaftig erscheinen zu sehen. Doch nichts geschah. Alles blieb ruhig. Erst jetzt wurde sie sich der vollkommenen Stille bewusst, die sie umgab. Nicht einmal das Mahlen und Stampfen der Beine dieses Yarls war zu hören, der den Palast mit Sicherheit schon der Düsterzone entgegentrug.
Die Prinzessin schlug die Hände vor die Augen, taumelte rückwärts, bis sie wieder auf dem Diwan saß und weinte. Wie konnte ihr Vater ihr dies antun? Der Gedanke war fast schlimmer als die Furcht vor dem, was auf sie wartete. Und was war Hrobon, Mythor und den anderen zugestoßen? Hatten auch sie durch die Krieger des Prinzen ihr Ende gefunden, oder irrten sie weiter durch den Turm, vielleicht schon auf der Suche nach ihr? Hatte Hrobon von ihres Vaters Absicht gewusst?
Es gab niemanden, der ihr diese und die anderen Fragen beantworten konnte, die sie peinigten. Shezad hatte plötzlich einen Pokal in der Hand, gefüllt mit wohlriechender, bernsteinfarbener Flüssigkeit. In einer Aufwallung von Trotz trank sie, leerte den Becher bis zur Hälfte, ließ die angenehm kühle und wohlschmeckende Flüssigkeit ihre Zunge umspülen. Aber was tat sie? War sie von Sinnen? Wenn sie wahrhaftig diesen Palast mit Odam teilte – und nur mit ihm –, wer anders als er konnte ihr Früchte und Getränke bereitgestellt haben? Sicher lag ihm nichts daran, sie zu vergiften. Doch musste sie nicht fürchten, dass er sie durch Zaubertränke gefügig zu machen trachtete?
Mit einem Laut des Entsetzens warf sie den Pokal weit von sich. Sein Inhalt ergoss sich über einen Teppich und färbte ihn dunkel. Shezads Finger krampften sich um die Lehnen. Mit heftig klopfendem Herzen wartete sie darauf, dass der Trank seine Wirkung tat. War sie bereits verzaubert? Sie zwang sich zur Ruhe und lauschte tapfer in sich hinein. Sie verspürte eine angenehme Wärme in sich, doch das war schon alles.
Sie konnte die Ungewissheit nicht länger ertragen. Shezad sprang auf und lief zitternd auf die Vorhänge zu, teilte sie und war darauf vorbereitet, Odam direkt ins Gesicht zu sehen. Doch auch der Raum, in den sie nun blickte, war leer. Weitere verhangene Durchgänge führten tiefer in den Palast hinein. Überall sah sie die gleiche Pracht. Und doch war Odam hiergewesen, hatte sie scheu beobachtet. Und er war auch in diesem Moment in der Nähe. Sie spürte es, spürte seine Ausstrahlung, als stünde er direkt neben ihr. Doch kein Grauen schüttelte sie. Was sie so eindringlich fühlte, war nicht der Hauch des Bösen, Finsteren. Etwas berührte sie tief in ihrer Seele. Sie wusste nicht zu sagen, was es war, und sträubte sich dagegen. Doch ihre Neugier war geweckt. Was war an Odam, dass er sich vor ihr verbarg? Er hatte doch die Macht, sie zu nehmen, auch gegen ihren Willen. Er brauchte sie nicht durch Zaubertränke gefügig zu machen.
Shezads Furcht schwand in dem Maße, in dem die Neugier von ihr Besitz ergriff. Langsam, bedächtig einen Fuß vor den anderen setzend, ging sie weiter, durchquerte auch diesen Raum und gelangte in ein Gemach, in dessen Mitte ein riesiges, prunkvoll verziertes Bett stand, über dem sich ein purpurner Baldachin spannte. Schleier aus blütenweißer Seide verbargen den Blick auf das, was sich unter dem Baldachin verbarg.
Shezad zögerte. Was mochte sie finden, wenn sie den Schleier teilte? Odam selbst? Wartete er dort auf sie, um sie in seine Arme zu schließen? Wieder griff das Entsetzen nach ihr. Sie zitterte am ganzen Leib, doch sie floh nicht diesen Ort. Sie musste wissen, was die Schleier verbargen. Lieber das als das lange, quälende Warten, an dessen Ende der Irrsinn lauerte.
Ihre Hände berührten den feinen Stoff. Noch einmal holte sie tief Luft. Dann zog sie die Schleier auseinander.
Das Bett war leer. Kostbare Tücher bedeckten die Liegestatt, die eines Prinzen und. seiner Prinzessin wahrhaftig würdig waren. Nicht einmal im Palast ihres Vaters hatte sie etwas Ähnliches gesehen. Ihre Augen nahmen einen verträumten Ausdruck an. Ihre Hände strichen leicht über den weißen Stoff – und fühlten etwas Hartes.
Shezad schrak zusammen. Ein spitzer Schrei entrang sich ihren Lippen. Erst jetzt sah sie, dass die Laken an einer Stelle leicht gewölbt waren. Sie zögerte. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und betastete die Wölbung. Ein Verdacht stieg in ihr auf, und mit einem Ruck zog sie die Laken zurück.
Vor ihr lag eine Gesichtsmaske, deren Innenseite ihr zugekehrt war. Und der Prinzessin stockte der Atem,
Weitere Kostenlose Bücher