Prinz für die Köchin
kreolischer Art frittieren –, und sogar Dimitri riss sich von dem italienischen Restaurant in Nizza los, zu dem er abgewandert war und in dem zufällig demnächst eine leitende Stelle in der Küche frei wurde.
Bald wurde klar, dass Boudin wieder ganz und gar der Alte war, als Régis nämlich auf eine beklommene Anfrage die beruhigend empörte Antwort bekam: » Natürlich machen wir das Boustifaille nicht zu! Hältst du Boudin etwa für eine Memme?«
Sämtliche Angestellte taten ihre Absicht kund, im neuen Boustifaille weiterzuarbeiten, das im Sommer wiederöffnen sollte, rechtzeitig zur Hochsaison. Das heißt, mit Ausnahme von Dimitri, der erklärte, es sei ja gut und schön, wenn sein Boss sich verkleinern wolle, er jedoch mache sich sehr wohl etwas aus Goldenen Löffeln und sei fest entschlossen, sich selbst einen zu verdienen.
»Aber das verstehe ich doch vollkommen, mein lieber Dimitri!«, versicherte Boudin und schaffte es gleichzeitig, seinen ehemaligen sous-chef mit einem zermalmenden Händedruck in die Schranken zu weisen. »Und glaub mir, ich kann es kaum erwarten , in deinem eigenen Restaurant deine Goldlöffel-Gerichte zu essen.«
Nach diesem Macho-Wortwechsel hatte sich die Atmosphäre nachhaltig entspannt, und sie hatten alle auf Boudins Verlobung getrunken, während der Küchenchef voller Begeisterung immer abwechselnd eine neue Speisekarte für das Chez Michel entwarf und Loblieder auf seine künftige Ehefrau sang.
Eine Hochzeit …, dachte Imogen verträumt, als sie am frühen Morgen mit Monty am Meer entlangschlenderte und automatisch die freundliche Begrüßung Dutzender anderer Hundebesitzer erwiderte. Eine Hochzeit … Doisneaus Kuss vor dem Rathaus blitzte in ihren Gedanken auf. Aber warum? Das Pariser Rathaus, das war es. Dieser nette Amerikaner, dem sie in Saint-Paul-de-Vence begegnet war, hatte ihr einen Besuch im Rathaus von Menton empfohlen, um sich den Hochzeitssaal anzusehen. Nun, warum nicht heute? Mittags würde sie zwischen ihren Einsätzen in der Konditorei ein paar Stunden freihaben – genau richtig für einen kleinen Ausflug mit Monty.
Später, als sie dastand und Cocteaus Gemälde von Orpheus und Eurydike betrachtete, die einander an ihrem Hochzeitstag gegenüberstanden – in mediterranen Schattierungen von Blau, Weiß, Gelb und Orange gehalten –, hatte Imogen plötzlich das komische Gefühl, dass sie beobachtet wurde. Sie schaute zu einer Gruppe anderer Besucher hinüber, die alle damit beschäftigt waren, den Saal zu inspizieren und in ihren Reiseführern zu lesen. Keiner von ihnen beachtete sie.
Sie schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Bild zu. Orpheus, bemerkte sie, trug einen Fischerhut und Eurydike die Haube einer Bäuerin. Obwohl sich um die beiden eine Legende rankte, war es schön, sie als ganz gewöhnliches Paar dargestellt zu sehen. Schließlich war dieser Saal für jeden da. Sie setzte sich in einen roten Samtsessel, strich ihren Jeans-Minirock glatt und fragte sich, wie es wohl wäre, hier zu heiraten, diesen Mittelgang hinunterzuschreiten, über einen Teppich mit Leopardenmuster. Dieser extravagante Saal war wirklich nicht das, was man in einem Behördengebäude erwarten würde. Ganz kurz fragte sie sich, ob Mitch wohl jemals hier gewesen war – es wäre genau seine Kragenweite.
Als sie gleich darauf die Wand zur Linken ansah, fielen ihr zwei Sätze ins Auge, die geschickt in ein weiteres Fresko eingearbeitet worden waren. »Als Orpheus sich umsah, verlor er seine Gemahlin und seine Lieder. Die Menschen wurden zu Ungeheuern, und die Tiere wurden grausam.« Zum ersten Mal fragte sie sich, warum sich der Künstler ausgerechnet dieses Motiv für einen so glücksbetonten Ort wie einen Hochzeitssaal ausgesucht hatte. Man verliert eine Sekunde lang den Glauben, und schon ist die Liebe für alle Zeit dahin, hatte der Amerikaner im Labyrinth zu ihr gesagt. Mehr ist nicht nötig. Darum ging es also in der Geschichte von Orpheus – um unerschütterlichen Glauben.
Außerdem kam ihr der Gedanke, dass der Orpheus-Mythos seltsame Parallelen mit ihrer eigenen Situation aufwies – romantische Begegnungen im Dunkeln mit jemandem, dessen Gesicht sie nicht kannte. Doch das stimmte natürlich nicht ganz, sagte Imogen sich. Sie kannte sein Gesicht, sie musste es kennen – nur konnte sie es nicht zuordnen. Da war das Gefühl wieder, ihr Nacken prickelte! Langsam setzte Imogen sich in ihrem roten Samtsessel auf und drehte sich um. War das nur Einbildung,
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