Prinzessin auf den zweiten Blick
den Luxus, müßigen Gedanken nachzuhängen, konnte Eleni sich nicht leisten. Dafür gab es an ihrem neuen Arbeitsplatz viel zu viel zu entdecken, zu erforschen und zu lernen. Festzustellen, dass ihre Stallkollegen eher amüsiert als verärgert darüber waren, plötzlich einen weiblichen Stallburschen in ihrer Mitte zu haben, erleichterte sie ungemein. Es dauerte nicht lange, da akzeptierten sie Eleni dank ihrer intelligenten Fachfragen und der Bereitschaft, sich unterzuordnen, bereits als eine der ihren.
Und für Eleni selbst, die daran gewöhnt war, allein zu arbeiten, bedeutete es eine nette Abwechslung, jemanden um Hilfe zu bitten oder ein wenig fachsimpeln und plaudern zu können.
Ihr erster Tag mit den Pferden flog so schnell vorbei wie ein jagender Falke. Dabei noch mit dem modernsten Equipment arbeiten zu können, das es auf dem Markt gab, erhöhte das Vergnügen noch, sodass sie sich fühlte wie im Paradies.
Am späten Nachmittag nahm sie Nabat noch einmal zu einem ausgiebigen Galopp von der Koppel, begleitet von einer jungen Stute, die ihr trotz eines überschäumenden Temperaments und einer gewissen Flatterhaftigkeit brav folgte und jede Bewegung zu kopieren versuchte.
Doch trotz aller Ablenkung wuchs Elenis innere Anspannung von Stunde zu Stunde, und als sie auf dem Weg zu ihrem Quartier war, spürte sie, wie ihr Herz immer schneller schlug. Während sie mit der Zungenspitze ihre trockenen Lippen befeuchtete, drängte sich das beklemmende Gefühl, das sie seit Kaliqs Order empfand, immer mehr in den Vordergrund.
Heute Abend sollte sie zum Scheich gebracht werden … und sie wusste nicht, warum!
Amina hatte bereits ein duftendes Bad für sie eingelassen, und erneut wies Eleni mit einem entschuldigenden Lächeln die angebotene Hilfe des Dienstmädchens zurück. Nach dem Bad inspizierte sie, eingedenk Kaliqs Mahnung, skeptisch ihre neue Garderobe und wählte ein Ensemble in der unauffälligsten Farbe, die sie finden konnte. Ein silbriges Grau, das sie noch mit einem Haarband, das eine Nuance dunkler war, ein wenig aufpeppte.
Doch als Eleni auf Aminas sanftes Klopfen hin die Tür öffnete, fühlte sie sich durch den erstaunten Ausruf des Mädchens plötzlich völlig verunsichert.
„Stimmt etwas nicht mit mir?“, fragte sie in aufwallender Panik.
„Nein! Es ist nur … du siehst einfach fantastisch aus, Eleni!
Wunderschön! Dem Scheich wirst du ganz sicher auch gefallen …“
„Aber … das habe ich nicht beabsichtigt!“, versicherte Eleni bestürzt. „Wenn überhaupt, will ich ihn mit meinem Geschick bei den Pferden beeindrucken.“
Amina starrte sie zuerst verwirrt, dann eindeutig missbilligend an. „Weißt du denn nicht, dass deine eigenen Wünsche nicht mehr als ein Windhauch sind?“, fragte sie sanft. „Unsichtbar fürs Auge und verflogen in einem Augenblick. Die Wünsche des Prinzen hingegen sind in diesem Palast Gesetz. Und er liebt es nun mal, sich mit Schönem zu umgeben. Aber jetzt folge mir schnell, denn eines mag er gar nicht … und das ist, zu warten!“
Wie jeder mächtige und kontrollsüchtige Tyrann, dachte Eleni ketzerisch und spürte ihr Herz sinken. Das alles erinnerte sie fatal an ihren Vater, mit einem kleinen Unterschied … je reicher und höher gestellt, desto größer offenbar die Erwartungen!
Während sie Amina durch die verwinkelten Gänge folgte, nahm ihr Pulsschlag stetig zu, und die Handflächen wurden immer feuchter. Kompliziert geflochtene Leuchten aus Metall erhellten den Weg und warfen bizarre Schatten auf den kostbaren Marmorboden. In der warmen Luft lag ein süßer Hauch von Blütenduft, der aus den Innenhöfen hereinwehte.
Schließlich stoppte Amina vor einer kunstvoll geschnitzten Doppeltür, neben der zwei Wachen postiert waren.
„Jetzt muss ich dich verlassen“, flüsterte sie Eleni zu, sobald die Männer die Türflügel, in einer Art feierlicher Zeremonie, synchron öffneten. „Viel Glück …“
Durch den entstehenden Spalt erhaschte Eleni einen Blick auf die glanzvolle Einrichtung und fühlte sich plötzlich wie ein kleines Mädchen anstatt wie eine erwachsene Frau von fünfundzwanzig. Es war eine seltsame Mixtur aus Angst und Scheu, gemischt mit Aufregung und einer unbestimmten Erwartungshaltung.
Tapfer atmete sie noch einmal tief durch und hielt den Kopf stolz erhoben, als sie den Raum betrat.
5. KAPITEL
Im riesigen königlichen Speisesaal lag Kaliq lässig hingestreckt auf einem Berg bestickter Kissen. Im Schein der unzähligen
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