Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
Fenster, die heil waren. Überall bleckten die Reste der Scheiben ihre spitzen Zähne. Schlimmer als die Scherben fand Skaia jedoch die Schuhabdrücke. Es mussten Tausende sein, die durch den Ort zogen.
Am Dorfbrunnen war das Rohr völlig verbogen und halb verstopft, sodass das Wasser zischend in alle Richtungen spritzte. Davor stritten drei Frauen um eine mickrige, grüne Gießkanne.
Skaia und Aldoro bogen in einen Seitenweg ein. Schreiend stoben einige kleine Kinder auseinander.
„Da sieht man wieder, wie erschreckend so ein Mönch auf unschuldige Wesen wirken kann“, kommentierte der Kapellmeister und zupfte an Aldoros Kutte.
Aldoro reagierte nicht darauf, sodass sich auch Skaia eine Antwort sparte. Dafür rang sie sich durch, die Männer, auf die sie zugingen, für vertrauenswürdig zu halten. „Die helfen uns bestimmt weiter.“
Von nahem betrachtet, erschienen ihr die Männer wie der lebende Beweis dafür, wie sehr man sich irren kann. Auch wenn die fünf Dorfbewohner ganz verschieden aussahen, hatten sie einiges gemeinsam: Schrammen, Beulen, blaue Augen und geplatzte Oberlippen. Ihre Kleidung war zerrissen und blutig. Stumm saßen sie nebeneinander auf einer Holzbank, die um den Stamm einer Linde gezimmert war.
Skaia brachte es nicht über sich, einen von ihnen anzusprechen. Sie wäre am liebsten vorbeigegangen.
Doch da hörte sie Aldoro fragen: „Entschuldigen Sie, können Sie uns freundlicherweise sagen, wo wir Papas ‚Papp-Palast’-Theater finden. Wir kennen uns in der Gegend nicht aus.“
Keine Reaktion.
Skaia sprang ihrem Bruder bei. „Der Platz liegt an einem Bach. Am Trollebach.“
„Der ist da vorne“, brummte einer und hob kaum merklich den Kopf in die fragliche Richtung.
„Verräter“, zischte ein Zweiter.
„Quatsch nicht!“, herrschte ein Dritter den Zweiten an.
„Der einzige, der hier dauernd quatscht, bist du“, schimpfte der Vierte auf den Dritten.
Plötzlich ging es wild durcheinander: „Und du hast schon einmal zuviel gequatscht!“
„Wer ist denn schuld?“
„Ich habe dir gesagt, dass ich es nicht war.“
„Ein Depp, wer dir glaubt.“
„Einer muss es gewesen sein. Warum nicht du?“
„Dein Vater war der gleiche Volltrottel. So was vererbt sich.“
„Red’ du nicht. Nach dem, was wir jetzt alle über dich wissen.“
„Und warum wissen es alle? Weil du gequatscht hast.“
Der Streit wurde handgreiflich und ging unglaublich rasch in eine Prügelorgie über. Die Männer schrieen vor Zorn und vor Schmerz, wenn die fliegenden Fäuste auf die kaum verheilten Wunden trafen.
Aldoro und Skaia, die entsetzt zurückgewichen waren, schenkten sich das „Danke für die Auskunft“ und machten sich aus dem Staub.
„Die haben ja ganz schön gewütet. Sind die Leute hier alle so?“ Aldoros Frage klang nicht so, als würde er einer beschwichtigenden Antwort glauben. Längst schien er davon überzeugt, dass ihn die Karussellfahrt zwar aus dem solterranischen Elend getragen, aber zugleich in einen moxólesischen Abgrund des Grauens gestürzt hatte.
Skaia machte ein paar halbherzige Versuche, das heitere Miteinander in Papas Truppe zu schildern.
„Ein köstlicher Mann, der Herr Directör“, meldete sich der Kapellmeister zu Wort. „Hat der große Papa denn seine Lebensgeschichte inzwischen fertig? Es ist Menschengedenken her, dass er sie im Intelligenzblatt großartig angekündigt hat.“
„Keine Ahnung. Er hat nichts darüber gesagt.“
„Ist wohl ruhig geworden im Alter? Das war zu unserer Zeit anders. Wie hat er sich den Mund fusselig geredet. Katzen- und Hundearien wollte er von mir haben für ein Machwerk mit dem Titel ‚Das aufdringliche Schloss’. Er selbst hat darin einen dummdreisten Thronsaal gespielt. Hähä, zum Schießen!“ Das Gelächter des Kapellmeisters flog keckernd durch die Luft.
Eigentlich hätte Skaia mit jedem Meter, der sie Papas Truppe näher brachte, mehr Vorfreude verspüren müssen, aber das einzige, was sich steigerte, war eine ungute Ahnung. Vor ihnen hatten entweder ganze Heerscharen diesen Weg genommen, oder aber ... Mit jedem Schritt sank Skaias Hoffnung. Bis sie endlich das Wagenlager von Papas Truppe sah.
Aldoro war überrascht: „Schau mal, die vielen Leute sind alle ins Theater gegangen!“ Und setzte gleich hinterher: „Eigentlich logisch.“
„Ein Riesengeschäft für den Papa“, folgerte der Kapellmeister.
Skaia hätte schreien können. Dass die tausend Spuren mitten ins Lager führten, bedeutete
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