Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
Unterleib steckte in einem Wams aus feinem roten Stoff. Das Hemd darunter war besetzt mit flatternden Rüschen. Aus den Ärmeln quoll allerhand Spitze. Der kleine Mann hatte sich wieder gefangen. Er lachte Skaia sogar an: „Potz Element, Luft, Wasser, Erd’ und Feuer! Ein zupackendes Wesen, ein ungestümes Geschöpf. Curiös! ― Und wo ist die Katze? Ich habe sie deutlich gehört!“ Er blickte kurz um sich, da entdeckte er sie auf dem Karussell. „Oh, Frau Katz wollen fortreiten? Ins Reich der Nacht? Und das kleine Fräulein mitnehmen? Was für ein mutiges Mädchen! Wenn es Ihnen beliebt, gebe ich Ihnen Geleitmusik. Zufällig habe ich ein paar Noten übrig für eine heitere Karussellfahrt ins erschröckliche Reich der Nacht zur finsteren Königin. Nennen wir das Werk einfach: ‚Nachts sind alle Katzen ... hicks ... blau‘.“ Er lachte amüsiert.
Vom Karussell war ein unwirsches Fauchen zu hören.
„Oh, Frau Samtpfote schätzen originelle Titel nicht? Na dann eben etwas Banaleres. Wie wäre es mit: ‚Eine kleine ... hm ... Eine klitzekleine Nachtmusik‘?“
Skaia hatte dem Redefluss des kleinen Mannes in ihrer Hand kaum folgen können. Jetzt wandte er sich an sie: „Wenn du mich nun meines Amtes walten lassen möchtest und zu diesem Behufe so hältst, dass mich alle Instrumente im Regal gut sehen können.“ Als Skaia nicht reagierte, piekte ihr der Wicht mit seinem Stöckchen in den Handrücken.
„He! Lass das!“, fuhr Skaia ihn an. „Überhaupt, ich weiß nicht einmal, wer du bist und wie du dazu kommst, mir Befehle zu erteilen. Wenn du nicht sofort ein bisschen netter bist, stecke ich dich ins unterste Fach.“
Das Gesicht des Männchens verzog sich zu einer gequälten Grimasse. In grässlichem Tonfall, weinerlich und zornig zugleich, heulte er auf: „Bin ich, euer armer Kapellmeister, völlig vergessen? Und die Geschichte, die mein Opernautomat erzählte? Keine Ahnung hast du! Wäre ich noch draufgeschraubt, würde ich dir alles vorspielen. Die Geschichte vom Kampf des Lichtes gegen die Finsternis, von der Scheidung des Tages von der Nacht. Und meine Figürchen würden singen. Die böse Königin scheuchte ich hinauf zu den höchsten Tönen, immer und immer wieder. Und den Träger des Siebenfachen Sonnenkreises schickte ich in die Tiefe seines dunklen Brummbasses ... Aber entfernt haben sie mich. Mich meiner Bestimmung beraubt. Weil meine Musik ‚verzaubere’. ‚Verzaubere’! Natürlich verzaubert sie!“ Die Empörung kippte um in weinerliches Selbstmitleid. „Nun gut ...“, hemmungslos schniefend zog er die Nase hoch, „... es gibt ja noch anderes. Das ganze Zeug, das hier gelandet ist: Zauberring, Zauberpfeil, Zauberkrone‚ Zauberspiegel, Zaubertrommel, Zauberflöte. ‚Alles gefährlich’, sagen sie. ‚Alles her zu mir’, sag’ ich. Ein ganzes halbes Kammerorchester habe ich schon. Eine Traumbesetzung.“ Wie berauscht begann das Männchen zu singen: „Silberglöckchen, Zauberflöten, sind zu meinem Glück verböten, Clownfagotte, Zauberzithern tönen alle hinter Gittern.“ Dann zeigte er mit seinem Stab hin zum Regal. Sofort leuchteten dort die vier genannten Instrumente auf. Voller Zärtlichkeit säuselte er: „Ihre Musik wirkt immer noch, auch wenn ihre Zauberkraft unter der reinen Sonne nichts ausrichten kann ...“ Sanft schwang er seinen Stab, und es erklangen die betörendsten Laute, die Skaia je in ihrem Leben gehört hatte.
Da knackte es in der Glaswand, und zischend schob sich die Türe auf. Noch ehe Skaia schreien konnte, hatte sich die grobe Hand eines Robolds auf ihren Mund gepresst. Neben ihr knickte das Stäblein des Kapellmeisters. Und die Glockenklänge, Flöten-, Fagott- und Zithermelodien verstummten unter dem panischen Gekreisch der Katze.
Alles war weiß: die glatten Kunststoffwände, die Tür mit dem Sicherheitsschloss, der mickrige Stuhl (von dessen Sitzfläche aus Skaia nicht einmal durch das hohe Fenster blicken konnte), der Tisch (der sich dazu bedeutend besser eignete), der Fenstergriff (der sich keinen Millimeter bewegen ließ), das Bett, auf dem Skaia mit angewinkelten Knien kauerte. Selbst den Büchern, die in ein schmales, weißes Hängeregal gezwängt waren, hatte man die Umschläge genommen. Kalt kehrten sie Skaia ihre blanken, bleichen Rücken zu.
Als Skaia mit den Fäusten gegen die schwere Tür donnerte, kamen zwei Wachrobolde und begleiteten sie zum Klo. Der Gang lag in gleißendem Neonlicht. Die fünfte Tür links war die zur
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