Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
allerlei Geraune der vornehmen Gesellschaft der ’ofswerg. Und bei jedem seiner Scherse, die er mit den Tafelnden trieb, warf er bunte Bonbons in die Runde.“
Der einzige Zwerg, den Skaia kannte, war der unappetitliche Meister der Zeit, weshalb sie sich kein bisschen vorstellen wollte, wie es wohl aussah, wenn so einer über eine gedeckte Tafel schlurfte und seinen viel zu langen Kittel über das ganze Essen schleifte. Sie hatte offenbar allzu angewidert dreingeschaut, denn der Koch schloss aus ihrer Miene: „Na, du bist anscheinend auch nischt anders als die anderen Banausen.“
„Mir kommt das alles nur sehr fantastisch vor“, gab Skaia zu.
„Glaubst du, isch ’abe das erfunden?“ Missjö Sufflee war empört. „Das kannst du alles nachlesen. In der Bibliothek. So, und jetzt lass misch allein. Isch habe noch su kochen.“ Er machte mit einem derart entschlossenen Ruck auf dem Absatz kehrt, dass sein Glas leicht überschwappte. Erschrocken schüttete der Koch gleich den ganzen Inhalt in sich hinein.
„Auch gut, Hauptsache die Bohnen sind vom Tisch!“, dachte Skaia und trollte sich aus dem Reich des Küchenchefs.
„Du Bibliothek?“, empfingen sie draußen ihre beiden Begleiter. Skaia nickte und folgte dem voranschreitenden Robold. Immerhin war Fräulein Martha allem Anschein nach die einzige Person in der Burg, die sie noch nicht kennen gelernt hatte. Und außerdem: Wenn Missjö Sufflee in der Bibliothek sogar etwas über üppige Speisenfolgen bei den rauschenden Festen in der Dunklen Zeit gefunden hatte, dann würde sie sicher auch etwas über Katzen finden ― und über diesen Totgesagten Park. Keine acht Flure und dreihundert Stufen später waren sie im Bibliothekstrakt angekommen. Skaia fiel direkt vor die geöffnete Tür zum Lesesaal, als sie an einem breiten Riss im Läufer hängen blieb und stürzte. Der Robold, an den sie sich noch hatte klammern wollen, war schnell weg gesprungen.
Skaia rappelte sich hoch und nannte den Robold einen „Idioten“. Dann erst sah sie den massiven Schreibtisch, hinter dem eine Frau wie eine Wächterin saß. An ihr musste man vorbei, wollte man die Schätze der Bibliothek erkunden. Die Finger ihrer linken Hand steckten in einem Karteikasten, fast so, als wären sie darin festgewachsen. Mit der rechten ruckelte die Frau an ihrer Brille, um Skaia ins Visier zu nehmen. Spitz wie Pfeile zielten Nase und Kinn auf Skaia. Wenn man es recht bedachte, war an der Frau alles spitz. Die Wangenknochen drängten wie kleine Kegel nach vorne, die Brille hatte seitlich der Gläser kleine Ausleger, mit denen man vermutlich gut Kerne aus Zitronenscheiben pulen konnte. Die Ohrläppchen wiesen wie kleine Messer hinab zu den knochigen Schultergelenken, die sich unter der schneeweißen Bluse abzeichneten. Und bei jeder Kopfbewegung stieß ein schwarzes Haarbüschel, das sich aus dem straffen Dutt befreit hatte, in die Luft.
„Fräulein Martha?“, fragte Skaia.
„Bitte?“, kam es zurück.
„Ich wollte in ein paar Bücher hineinschauen“, erklärte Skaia.
„Deinen Ausweis!“
„Ich habe keinen Ausweis.“
„Dann kannst du auch nicht herein.“
„Aber ich wollte doch nur ganz kurz ...“
„Wie stellst du dir das vor, Kind? Das ist ganz unmöglich. Ich habe meine Vorschriften. Jeder braucht zuerst einen Ausweis! Hat er einen Ausweis, kann er damit herein. Jederzeit. Selbst, wenn hier nicht besetzt ist. Aber ohne Ausweis? Nein!“
„Können Sie mir denn keinen ausstellen?“
„Warum sollte ich das nicht können? Hat das jemand behauptet?“
„Nein, aber ...“
„Na also.“ Mit einem Kopfschütteln wandte Fräulein Martha sich ihren Karteikärtchen zu. Sie kramte sich durchs Alphabet, zog ab und zu ein Kärtchen heraus, machte darauf Notizen und steckte es wieder zurück. Es sah ganz und gar nicht danach aus, als ob sie dabei war, Skaia einen Ausweis auszustellen.
„Wollten Sie mir denn nicht ...“
Die Bibliothekarin fuhr hoch. „Wie? Was? Du bist ja immer noch da. Was willst du denn noch?“
„In die Bibliothek!“
„Aber du weißt doch, ohne Ausweis ...“
„Dann stellen Sie mir bitte einen aus!“, sagte Skaia und betonte dabei jedes Wort so nachdrücklich wie sie nur konnte.
Die Bibliothekarin warf Skaia einen entnervten Blick zu. Dann forderte sie: „Nummer, Name.“
Folgsam nannte Skaia ihre zwölfstellige Personenkennzahl und ihren Namen, woraufhin Fräulein Martha aus einer Schublade einen dicken, an den Kanten leicht ramponierten
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