Prinzessin oder Erbse
beieinander und bemühen uns, den Marshmallows eine gleichmäßige Bräunung zu verleihen, ohne dass sie Feuer fangen. Ich stopfe mir eine der süß-klebrigen Köstlichkeiten nach der anderen in den Mund und spüle mit Sangria nach. Zwar hallt Julias Warnung noch in meinen Ohren wider, aber man wird ja wohl seine Nerven ein bisschen beruhigen dürfen. Während ich mir den Becher ein weiteres und, wie ich mir fest vornehme, letztes Mal nachfüllen lasse, packt David neben mir seine Gitarre aus.
»Na endlich.« Micha stellt die Musik aus und plötzlich herrscht erwartungsvolle Stille. David räuspert sich.
»Ja, also, auch wenn einige von euch der Meinung sind, dass ich meine Freunde gerade etwas vernachlässige«, sagt er mit einem schiefen Seitenblick auf Melanie,
»möchte ich doch sagen, dass …« Er bricht ab und grinst verlegen in die Runde. »Im Reden war ich noch nie besonders gut. Lasst es mich anders ausdrücken.« Und dann beginnt er zu spielen. Fasziniert beobachte ich seine Hände, die mit großer Leichtigkeit über die Saiten des Instruments fliegen. Er hat schmale, haarlose Finger mit etwas breiteren Gelenken. Schöne Finger. Und dann öffnet er den Mund und fängt an zu singen. Seine raue und zugleich weiche Stimme klingt so wunderschön durch die Stille der Nacht, dass ich eine Gänsehaut bekomme. Ich bin so fasziniert von ihm, dass es mir schwerfällt, dem englischen Text zu folgen, aber auf einem anderen Level verstehe ich das melancholische Lied auch ohne Worte. Ich glaube, es geht um Verletzungen, die man geliebten Menschen immer wieder zufügt und um die Kunst der Vergebung. Ich bin richtig traurig, als das Lied zu Ende ist. Einen Augenblick lang ist es mucksmäuschenstill, dann sagt David: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
»Mann, David, willst du, dass wir uns allesamt in der Elbe ertränken?«, fragt Micha mit belegter Stimme. Die beiden stehen auf und umarmen einander.
»Danke für alles, Kumpel«, meine ich David flüstern zu hören. Plötzlich fühle ich mich fehl am Platz. Als würde ich gerade einen heiligen Moment alleine dadurch stören, dass ich nicht den blassesten Schimmer habe, worum es eigentlich geht. David setzt sich neben mich, und Micha schaltet den CD-Player wieder an. Irgendein Sommerhit von vor fünf Jahren erklingt. »Das war wunderschön«, sage ich begeistert. »Was war das für ein Lied?«
»Ach, nur so ein Lied.« Ungläubig sehe ich ihn an.
»Das hast du selbst geschrieben?«
»Na ja. Ja.«
»Das gibt es doch nicht. Du hast mir gar nicht erzählt, dass du Musiker bist.«
»Musiker ist man erst, wenn man einen Plattenvertrag hat.«
»Das ist nicht wahr.«
»Stimmt«, bestätigt er grinsend, »aber das wissen die meisten Leute nicht. Für die ist man bloß ein verträumter Spinner, wenn man noch kein Album vorzuweisen hat. Ich schreibe schon seit der Schule Songs und hab mein Band schon an Dutzende von Produzenten geschickt. Aber ohne Erfolg.«
»Aber du bist doch gut. Was sage ich, du bist großartig. «
»Das Thema hatten wir doch heute schon«, grinst er. »Darauf kommt es gar nicht an.«
»Aber warte mal, mit deiner Popularität …«
»Vergiss es. Ich werde kein singender Soapstar, der irgendwelche Coverversionen plärrt und dazu in der Gegend rumhüpft.«
»Vielleicht musst du das auch gar nicht. Du könntest deine eigenen Songs machen. Und dazu denken wir uns eine schöne Geschichte aus. Darüber, dass du schon als Kind deine eigenen Lieder geschrieben hast zum Beispiel. «
»Das habe ich ja auch.«
»Umso besser.«
»Ich weiß nicht so recht.«
»Aber warum denn nicht?«, frage ich und bin ganz begeistert von der Idee. »Du bist kein singender Soapstar. Sondern Musiker. Und das bist du kein bisschen
weniger, nur weil du deinen Bekanntheitsgrad jetzt dafür benutzt, deine Songs an den Mann zu bringen.« Erwartungsvoll sehe ich ihn an, ich kann förmlich spüren, wie es in seinem Kopf arbeitet. »Van Gogh hätte es bestimmt getan«, sage ich schelmisch.
»Vielleicht hast du Recht.«
»Vielleicht?« Ich schüttele den Kopf. »Ganz bestimmt sogar. Also, wenn du einverstanden bist, spreche ich mit Matthias über die Idee. Vielleicht lässt er dann auch endlich von seiner Obsession mit dem doofen Kalender. « Dieses Argument scheint David endgültig zu überzeugen.
»Mach das!« Damit streckt er mir seine ausgestreckte Rechte entgegen. »Und jetzt komm.« Er zieht mich auf die Füße. »Wir tanzen.«
»Nee, lass mal.«
»Jetzt zier
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