Prinzessinnensöckchen (German Edition)
Polizei, dachte sie noch einmal, verwarf den Gedanken sofort wieder. Überlegte dann, was für Söckchen sie trug. Natürlich. Die.
*
Emily lief schnell, Carmen hatte Mühe, ihr zu folgen. Wenigstens drehte sie sich nicht um. Eine Taschenlampe, Mist, ich habe keine Taschenlampe dabei. Im Auto lag eine, sollte wenigstens, aber da sollte es auch einen Erste-Hilfe-Kasten geben und dessen Existenz bezweifelte Carmen, jedenfalls hatten sie sich vor vielen Jahren zum letzten Mal gesehen. Sie musste genügend Abstand halten, leise auftreten. Gut, dass sie Turnschuhe trug.
*
Da war er, der Weg. Wie ein Schlund inmitten eines schwarzen Ungetüms. Sie fürchtete sich davor, in Wälder hineinzugehen, Hanna musste dabei sein, dann ging es einigermaßen. Aber Hanna war schon da drin.
Jetzt konnte sie endlich die Taschenlampe anknipsen, aber eigentlich hatte sie davor noch mehr Angst als vor der Dunkelheit. Deren Schrecken konnte man hören, aber man sah sie wenigstens nicht. Wenn sie den Strahl der Lampe stur auf den Boden vor ihren Füßen richten würde, musste es aber gehen. Es sei denn, eine Schlange kroch gerade über den Weg. Blödsinn. Schlangen sind Kaltblüter, wusste sie noch aus Bio. Denen ist das Wetter grad zu frostig, die liegen irgendwo unbeweglich rum, aber doch nicht auf Wegen. Vielleicht auf Bäumen. Und manchmal, wenn sie steif gefroren waren, fielen sie aus diesen Bäumen, weil sie als Kaltblüter ihre Körpertemperatur nicht kontrollieren können.
Verdammt, das hatte sie in der Klassenarbeit nicht gewusst und jetzt ausgerechnet fiel es ihr wieder ein. Sie wusste schon, warum sie die Schule hasste.
*
Sie hatte eine Taschenlampe und leuchtete damit auf den Weg vor sich. Gut so, dann verlor Carmen Emily nicht aus den Augen. Eine Waffe. Sie hätte eine Waffe brauchen können. Aha. Das Nagelfeilenset. Sie hatte es vorhin aus der Handtasche genommen und nicht mehr dorthin gesteckt, sondern in die Jacke.
21
Als Emily das Waldstück auf dem Pfad durchquert und den Rand des Feldes erreicht hatte, von wo aus die Hütte als ein schwarzes Viereck vor dem dunkelblauen Himmel zu erkennen war, griff sie nach dem Handy in der Jackentasche. Nicht da, wahrscheinlich auf dem Bett vergessen. Wie dumm, dachte sie, wie furchtbar dumm. Ich hätte gleich die Polizei informieren müssen, habe es nicht getan und jetzt will ich und kann nicht. Und weil ich so dumm bin oder so stolz oder was auch immer, muss Hanna sterben. Oder ist schon tot. Die liegt da drüben in der Hütte... oder hängt dort? Warum muss man sich das auch noch vorstellen, wenn man es gar nicht will?
Sie machte ein paar Schritte auf das Feld, die Taschenlampe auf die Erde gerichtet. Hier, wo alles durchfurcht war und überall kleine Hügel sich aufhäuften, lief man Gefahr zu stolpern, hinzufallen. Hinter ihr – ein Geräusch? Ein Stein, der über den Weg rollte? Lieber nicht umdrehen. Wenn da jemand war, dann war da eben jemand und dieser Jemand würde sie packen und genauso töten wie Hanna und da war es besser, man sah nicht, wie er einen ansprang, wie er aussah, was für eine Grimasse er zog, was er in der Hand hielt. Die einen sterben später, die anderen früher, und sie gehörte zu letzteren.
Ja, doch, war alles egal jetzt. Sie ging über das Feld, das schwarze Viereck kam näher, nein, sie kam ihm immer näher, was spielte das für eine Rolle. Zehn Meter. Sie musste jetzt rufen. »Hanna?« Ihre Stimme, die krächzte richtig, als stecke sie mitten in einer schweren Erkältung. Sie rief noch einmal, lauschte. Niemand antwortete. Dass Wind durch die Ritzen der Scheune zog und Geräusche machte, war alles, was man hören konnte. Eigentlich gruselig. Aber jetzt klang das harmlos, jetzt war das gruseliger, was man nicht hören konnte. Fünf Meter. Noch einmal rufen, lauter, fester, »Hanna!«
Sie würde die Tür nicht aufmachen, nicht hineingehen. Wenn Hanna sich nicht bemerkbar machte, dann war sie nicht da, basta. Oder... gefesselt? Lag da irgendwo in einer Ecke, hörte sie, konnte nicht antworten? Warum war ihr das nur noch eingefallen? Jetzt musste sie etwas tun. Noch ein paar Meter näher heran und die Tür aufdrücken. Vorher schaltete sie die Taschenlampe aus. Sie wollte nicht mit ansehen müssen, wie sie starb.
Emily konnte nicht anders; sie sah Hannas Rücken vor sich, als sie in die Hütte gegangen, dann zu schreien angefangen und sich umgedreht hatte, weggerannt war. Aber da war es hell gewesen. Jetzt war es stockdunkel und selbst
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