Private Dancer
sich sehr mich zu sehen, nannte mich seinen Freund und bot mir direkt an ihn zu duzen. Er bestellte mir etwas zu Essen und erkundigte sich, ob ich bis jetzt mit allem zufrieden war. Ich wollte seine Freude ungern in den ersten Minuten dämpfen und ihm deshalb erst mal nichts über die schlechte Wohnung erzählen. Er stellte mich seiner Frau vor, die Ungarin war, aber zum Glück Englisch sprechen konnte. Ich war froh, als sie mich mit einem „We are so glad because you are here” begrüßte. Gleich am Abend sollte ich dem Personal vorgestellt werden und schon ein wenig in der Küche herumspuken. Da es aber erst Mittag war, blieb mir noch etwas Zeit, mich in der Stadt umzuschauen. Ich überquerte die Donau über die Elisabethbrücke und stieg einen steilen Fußweg hinauf, der mich zur Zitadelle führte, von wo aus ich einen atemberaubenden Ausblick auf Budapest hatte. Die Architektur gefiel mir sehr, die Stadt war toll, die Menschen waren recht freundlich, wenn auch vorsichtig, Ausländern gegenüber. Ich hatte aber auch noch nie so viele alte Menschen gesehen, die einen Buckel hatten. Viele bettelten an den Straßen und in der Fußgängerzone. Ich hatte mir keine Infos über Kultur, Politik und Wirtschaft in Ungarn verschafft, aber eines wurde mir nach wenigen Stunden klar: Man war hier entweder sehr reich oder sehr, sehr arm! Diese Erkenntnis bereitete mir ein eher mulmiges Gefühl, ich kannte das bis dahin nicht. Man hatte immer davon gehört, dass es Länder ohne Mittelstand gab, erlebt hatte ich so etwas noch nie. Ich weiß auch bis heute nicht, ob Ungarn tatsächlich offiziell als Land ohne Mittelstand eingestuft wird. Ich kann nur mein subjektives Empfinden wiedergeben …und mein Unwohlsein darüber.
Man darf das nicht falsch verstehen, ich mochte Budapest von der ersten Minute an, fühlte mich recht wohl (abgesehen von der Wohnung), aber trotzdem besaß die Stadt für mich einen immer vorhandenen, depressiven Flair. In einer Einkaufsstraße kam mir mittags um 13:00 Uhr eine junge Frau, die etwa in meinem Alter war, entgegen. Sie trug trotz der Kälte ein Shirt mit kurzen Armen, einen Minirock und darunter eine glänzende, schwarze Leggins und High Heels. Ihre blonden Haare waren zerzaust und sie weinte. Sie weinte lautlos und mit erhobenem Haupt. Beinahe stolz zeigte sie jedem, der ihr entgegenkam, ihre Tränen, die ihre schwarze Augentusche in ihrem gesamten Gesicht verteilten. In der Hand hielt sie einen Flasche klaren Schnaps… Willkommen …in Budapest!
Rosemarie Bartholy sah mich von oben herab an, obwohl sie kleiner war als ich. Ihre schwarzen Augen taxierten mich. Ihre Augenbrauen waren in einem steigenden Winkel gezupft, was ihr einen düsteren Gesichtsausdruck gab. Sie schielte ein klein wenig. Ihre langen, blondierten Haare hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden. Sie war schlank, was sie groß wirken ließ, außerdem trug sie zehn Zentimeter hohe Plateau-Schuhe der Marke Buffallo. Solche hatte ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Rosemarie war die Küchenchefin des Restaurants, in dem ich arbeiten sollte… das ich revolutionieren sollte. Sie war die einzige Frau, von der ich mir gewünscht hätte, ich könne sie nicht verstehen, aber sie sprach natürlich deutsch. „Isch komme aus Transsylvanien, meine Mutter stammt von dort, mein Vater war Ungar. Wir haben einige Jahre lang in Bayern gelebt, bevor wir zurück nach Budapest gegangen sind.” Dass sie aus Transsylvanien war, erklärte, warum sie keine Eckzähne mehr besaß, wahrscheinlich hatte man sie ihr gezogen, damit sie Erlaubnis bekommen hatte nach Deutschland einzureisen …das war zumindest meine Vermutung. Sie sprach unaufhörlich mit mir, während sie kochte. Trotzdem dauerte es Stunden, bis mir klar wurde, dass sie ganz nett war, und nichts für ihre gruselige Stimme und ihr furchteinflößendes Aussehen konnte. Sie erzählte mir, dass sie eine Nachkommin von Elisabeth Bartholy war, die vor hunderten von Jahren über Ungarn herrschte und von der man sagte, dass sie in dem Blut von Jungfrauen badete, die man auf ihren Befehl hin abgeschlachtet hatte. Auf meine Frage, warum Elisabeth Bartholy in Jungfernblut gebadet hatte, sah Rosemarie mich ungläubig an und erklärte, dass es ja wohl allgemein bekannt sei, dass das Blut von Jungfrauen dem der darin badet ewige Jugend verleihe…(wie konnte ich nur so unwissend sein…). So kam es, dass Elisabeth Bartholy über neunzig Jahre alt wurde und bei ihrer Beerdigung noch immer
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