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Profit

Profit

Titel: Profit Kostenlos Bücher Online Lesen
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im Hals. Der Drang, einfach einzusteigen und irgendwo hinzufahren, war überwältigend. Er stand volle zwanzig Sekunden lang da, wie ein Verhungernder, der ein großes Tier vor sich hat, das er möglicherweise mit bloßen Händen töten und roh essen könnte. Er rührte sich erst wieder, als die Griffe seiner Tragetaschen so tief in die Hände zu schneiden begannen, dass es wehtat.
    Noch nicht.
    Vor der Haustür ließ er sein Gepäck fallen, während er seine Erkennungskarte aus der Tasche fischte und sie dem Schloss zeigte. Stieß die Tür mit der Schulter auf und trat über die Schwelle. Drinnen stand die Kälte des Unbewohntseins, und über allem lag die hauchdünne Unvertrautheit, die einen bei der Rückkehr nach langer Abwesenheit anweht. Er stand im Wohnzimmer, die Taschen zu seinen Füßen abgestellt, und Carlas Abschied drang zu ihm durch und verpasste ihm einen Schlag wie eine gewaltige Maulschelle.
    Sie hatte nur Weniges mitgenommen, aber die hinterlassenen Lücken waren wie offene Wunden. Die grüne Frauenfigur aus Onyx, die sie in Kapstadt gekauft hatte, war von ihrem angestammten Platz neben der Telefonanlage verschwunden. Zwei stumpfe kleine Metallstummel ragten aus dem plötzlich nackten Wandabschnitt, wo einst der abgeflachte, eine Gravur tragende Volvo-Zylinderkopf aus ihrer Mechanikerabschlussprüfung gehangen hatte. Auf dem Kaminsims fehlte auch etwas, wie ein gezogener Zahn, er wusste nicht mehr, was es war. Auf der Fensterbank waren die gerahmten Fotos von ihren Freunden und ihrer Familie ausgesondert worden, und der Restbestand, Bilder von Chris und Carla oder von Chris allein, machte sich auf dem weißen Holz so kläglich aus wie ein Haufen von gestrandeten Segeljachten. Die Bücherregale waren verwüstet, der Großteil der Bibliothek fort, die Überbleibsel umgekippt oder einsam an Regalwänden lehnend.
    Den Rest des Hauses mochte er sich nicht auch noch antun.
    Er packte seine Tasche auf dem Sofa aus, warf die Nemex und die ihm kürzlich zugefallene Remington auf einen Sessel. Der Anblick der Waffen ließ ihn innehalten. Er hatte die Nemex noch nie mit nach Hause gebracht, fiel ihm plötzlich ein. Selbst als sie zum Brundtland gefahren waren in jener Scheißnacht, hatte er sie aus dem Handschuhfach des Saabs holen müssen. Wie sie da auf dem weichen Leder des Sessels lag, das kam ihm jetzt ebenso fremd vor wie die Abwesenheit all der Sachen, die Carla mitgenommen hatte. Ja, er empfand die Anwesenheit der Waffe paradoxerweise wie eine Abwesenheit eigener Art.
    Er nahm das Gewehr zur Hand, weil es den Moment hinauszögerte, wo er hinauf ins Schlafzimmer würde gehen müssen. Er repetierte ein paarmal kurz hintereinander, eine schale Befriedigung aus dem staubtrockenen Klack-Klack ziehend. Er vertiefte sich eine Weile lang in den Mechanismus, legte dann das Gewehr an die Schulter und marschierte durchs Zimmer wie ein Kind, das Krieg spielt, blieb zwischendurch abrupt stehen, um auf die Leerstellen zu feuern, die Carla hinterlassen hatte, und schließlich auch auf sein eigenes Spiegelbild im Eingangsflur. Lange starrte er den Mann an, der dort stand, ließ die Remington kurz sinken, um besser sehen zu können, repetierte dann blitzartig, legte das Gewehr an die Schulter und drückte wieder ab.
    Er ging hinaus zum Auto.
     
    Später, als der Abend heranbrach, parkte er wieder vor dem Haus und ging ein zweites Mal hinein. Jetzt, mit der Dunkelfärbung von draußen und den eingeschalteten Lichtern, erschien die krasse Abwesenheit Carlas und ihrer Sachen weniger brutal.
    Er hatte bereits gegessen. Er schloss die Tür und ging geradewegs nach oben ins Schlafzimmer. Carla hatte ihre Analoguhr aus mattiertem Granit vom Nachttisch genommen, und die einzige andere Zeitanzeige im Zimmer stand auf der Frisierkommode, ein alter Casio-Digitalwecker, den sie vor Jahren gemeinsam auf einer Antiquitätenauktion erstanden hatten. Chris lag lange im Dunkeln und starrte auf die grünen Leuchtziffern, sah den Sekunden seines Lebens beim Verstreichen zu, beobachtete den Countdown der letzten Minuten des Tages, bis die Zeit auf null umsprang und der neue Morgen, der Morgen des Duells, begonnen hatte.
    Schlafen tat er nicht. Er sah nicht ein, wozu.

 
SECHSUNDVIERZIG
     
     
    Man sprach gerade über ihn, als er den Fernseher einschaltete.
    »… bei einem Fahrer dieses Ranges. Das ist nicht das, was man eigentlich erwarten würde, nicht wahr, Liz?«
    »Nun, ich denke, je nachdem, Ron.« Sie sah hinreißend aus in

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