Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
oder du hast dir die Rede von Bürgermeister Fujikawa zu sehr zu Herzen genommen.« Die Tür glitt beiseite und gab den Blick auf Lester frei. Er trug zerschlissene Jeans und ein ausgeblichenes T-Shirt irgendeiner obskuren Band des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem Namen The Who. »Ich schwöre, ich habe noch nie einen Mann getroffen, der so viel redete und absolut nichts zu sagen hatte.«
»Hey, das ist dein Sponsor, den du da gerade miesmachst.« Nach einem Jahr Zusammenleben mit Lester hatte Valeries amerikanischer Akzent Einsprengsel von britischem Englisch bekommen, sehr zum Verdruss von Corp und ihrem Sponsor.
Beim Gedanken an ihren eigenen Geldgeber bäumte sich Valeries Magen erneut auf, und sie stürzte wieder zur Toilette. »Oh Gott …« Weiter kam sie nicht.
»Mein Sponsor kann von mir aus zur Hölle fahren, und zwar auf schnellstem Wege«, sagte Lester leise und hielt ihr dabei die Haare aus dem Gesicht. »Wirklich, Liebes. Solltest du nicht zum Arzt gehen?«
»Nein«, beharrte Valerie. »Entweder ist es eine Nahrungsmittelvergiftung oder PMS. Es kommt manchmal vor, dass mir zu dieser Zeit im Monat übel wird …«
Obwohl, im letzten Monat war es nicht … oh!
Oje.
»Les?«, sagte sie, als er ihr einen kalten Waschlappen in den Nacken legte. Sie stellte fest, dass sie nirgendwo anders hinsehen konnte als auf den weiß und blau gefliesten Fußboden ihres gemeinsamen Quartiers. Das war vielleicht ein Medien-Coup gewesen – die Lieblinge von New Chicago ziehen zusammen. Ohne Hochzeit.
»Was ist, Val?« Lesters Gesicht verfinsterte sich vor Sorge. »Du wirst mir doch nicht ohnmächtig werden? Ist dir schwindlig?«
»Ich, uh.« Valerie drückte den Rücken durch. Sie hatte schon schlimmere Situationen gemeistert als diese hier. Obwohl, wahrscheinlich noch nie eine so heikle.
»Les, ich glaube nicht, dass es am Essen liegt«, sagte sie leichthin. »Mir ist nur gerade aufgefallen, dass das jetzt schon seit zwei Monaten so geht.«
»Dir ist seit zwei Monaten übel? Sag nicht, das liegt an meiner Gesellschaft, Darling.«
»Nein, Les. Es ist zwei Monate her, seit ich das letzte Mal meine Periode hatte.«
Lester bekam tellergroße Augen. Er sah aus, als hätte er soeben ein Hoverbike bemerkt, das vom Himmel fiel und geradewegs auf seinen Kopf zuraste.
Lieber Gott, warum ich?, dachte Valerie. Angelica und Blackout sollten Eltern werden. Nicht sie, die ungelenke, viel zu große Valerie Vincent. Die immer noch Valerie Vincent hieß, Herrgott noch eins, und nicht mal Valerie Bradford. Wenn ihre Mutter noch lebte, würde sie auf der Stelle tot umfallen.
»Du bist schwanger?« Lesters Berührung wurde ganz warm, als plötzlich aufwallende Emotionen seine Kräfte weckten.
»Na ja, ich müsste mir einen Test besorgen und überprüfen, ob ich richtig mitgezählt habe, und zu einem Arzt gehen und …« Valerie merkte, dass sie ins Labern geriet, und biss sich auf die Lippe. »Ja. Ich wüsste nicht, was es sonst sein sollte.«
Sie hatte noch nie in ihrem Leben ein solches Gespräch mit einem Mann führen müssen, von wegen »Braten im Ofen« und so weiter. Und so war sie nicht sicher, was sie erwartete. Vielleicht würde er sie anschreien. Oder ihr Betrug unterstellen. Vielleicht würde er auch einfach nur kalte Ablehnung zeigen. Sie selbst fühlte sich merkwürdig ruhig. Ich bin schwanger. Keinerlei Panik kam auf. Ich bin schwanger mit Lesters Kind. Valerie spürte, wie sie leicht zu lächeln begann, und verbarg ihr Gesicht, weil Lester gleich explodieren würde, wütend werden, diesen Moment vollkommenen Friedens ruinieren …
Lester packte sie und umarmte sie so fest, dass es ihr die Luft aus den Lungen presste. »Valerie«, flüsterte er in ihr Haar. »Valerie. Valerie. Valentine. Du hast mich gerade zum glücklichsten Mann auf der ganzen verdammten Welt gemacht.«
»Wirklich?«, fragte sie zurück. Allerdings hörte es sich mehr an wie »Wurrch«, weil ihr Gesicht immer noch fest gegen Lesters Brust gepresst war.
»Wir werden eine richtige Familie sein«, sagte er. »Wir drei. Und es wird natürlich ein Mädchen, und ich werde sie nach Strich und Faden verwöhnen.«
Valerie schlang ihre Arme um ihn – vorsichtig, weil ihre eigenen Kräfte sich ein bisschen instabil anfühlten wegen der Woge von Gefühlen, die in ihr hochkochte. »Oder ein Junge, und er wird genauso eine Nervensäge sein wie du.«
»Fast.« Sie spürte, dass er lächelte. »Selbstverständlich werde ich dich jetzt auch ganz
Weitere Kostenlose Bücher