Projekt Sakkara
eigentlich schon, in gewisser Weise.«
»Nun ... ?« Melissa sah ihn lächelnd an und wartete darauf, dass er die richtigen Worte fand.
»Sie heißt Stefanie. Oder hieß. Ich lernte sie in Frankreich kennen, und dort ist sie auch gestorben.«
Melissa schwieg erschrocken.
»Sie war eine außergewöhnliche Frau«, fuhr Patrick fort. »Ich kann es nicht beschreiben, irgendwie erhaben, fast nicht von dieser Welt. Es ging eine weise Ausstrahlung, ein verstecktes Wissen, eine verborgene Kraft von ihr aus. Ich kann es nicht anders erklären, sie hielt sich immer im Hintergrund, aber sie war auf eine unerklärliche Weise größer als wir alle. Wenn ich sie ansah, ergriff mich fast eine Art ›Ehrfurcht‹, auch wenn das jetzt echt komisch klingt.«
»Es klingt nach Liebe«, sagte Melissa halblaut.
»Ja ... und irgendwie auch nein. Einerseits war da ein Gefühl intensivster Zuneigung, mehr, als ich es jemals gespürt habe, auch eine irrsinnige körperliche Erregung, aber gleichzeitig schien sie mir unantastbar.«
»Das ist ... fantastisch!«
»Ja, das war es ... Und leider starb sie ... Seitdem trage ich sie in mir. Ich träume sogar von ihr, und immer wieder meine ich, sie zu sehen.«
Melissa nickte. »Dann verstehe ich umso mehr, wie du zu mir stehst, und warum es nicht anders sein kann«, sagte sie und lächelte. »Es ist ein wunderschöner Gedanke, eine solche Liebe immer bei sich zu haben. Ich wünsche dir, dass du eines Tages auch eine leibliche Stefanie findest oder wiederfindest.«
»Wenn ich sie gefunden habe, werde ich es wissen.« Er sah Melissa in ihre herzlich strahlenden grünen Augen und strich mit einer Hand über ihre Wange. »Danke.«
»Ich habe zu danken, Patrick!« Sie küsste ihn abermals auf die Wange, und dann gingen sie zurück zum Haus.
Es war kurz vor elf, als Melissa ihren Wagen abstellte. Sie musste ein Stück weit zu ihrem Haus gehen und dachte über den Abend nach.
Es war erstaunlich, welch kleine Dinge es waren, die bisweilen Großes in Bewegung setzten. Als sie Patrick in Hamburg das erste Mal gesehen hatte, hätte sie niemals erwartet, dass der Franzose ihr je mehr bedeuten würde. Und doch waren ihre Gespräche in den letzten Tagen von einer besonderen Tiefe gewesen, so dass sie sich auf eine ganz spezielle Weise nähergekommen waren. Dabei hatten sie eine gemeinsame Schwingung entdeckt, und festgestellt, dass sie beide auf ihre Art einem Weg folgten, an dessen Kreuzung sie einander erkannten.
Melissa dachte über die Sekte nach, der sie einige Zeit angehört hatte, und vergegenwärtigte sich, was sie dazu bewogen hatte, ihr beizutreten. Ja, es war Neugier gewesen, aber geblieben war sie schließlich aus einem Gefühl der Überheblichkeit. Es war unwürdig, überlegte sie. Sie hatte es sich bequem gemacht, hatte sich weder darum bemüht, die Welt zu verbessern, noch die einzig andere Konsequenz gezogen und sich von diesen Leuten distanziert.
Aber nun hatte sie ihr Leben und ihre Suche wieder selbst in die Hand genommen. Sie wusste noch nicht, wohin sie die Reise führen würde, aber Kraft und Tatendrang durchfluteten sie, und es würden ihr Weg und ihr Ziel sein.
Sie betrat ihre Wohnung, zog die Schuhe im Flur aus und trat durch den Vorhang in ihr Wohnzimmer, wo sie das Licht anschaltete.
Sie schrak zusammen, als sie die Gestalt sah, die sich in diesem Augenblick von den Kissen auf dem Boden erhob. In seine dunkle Kapuzenrobe gehüllt, kam Frater Apophis auf sie zu.
»Was tun Sie hier?!«, rief Melissa. »Sie haben in meinem Haus nichts zu suchen!«
»Du hast uns verraten, Schwester Lilith.«
»Was habe ich?!«
»Du hast dich in unsere Reihen gefügt und uns ausgenutzt. Du schuldest uns etwas. Findest du nicht?«
»Ich wüsste nicht, was ich Ihnen zu schulden hätte! Verlassen Sie mein Haus!«
Zwei weitere Vermummte tauchten aus dem Flur auf, der zum Schlafzimmer führte. Frater Apophis schüttelte den Kopf. »Melissa, mein Kind, so einfach ist es nicht. Wir werden gehen, ja. Aber du wirst uns begleiten.« Auf einen Wink hin ergriffen die beiden anderen Männer die junge Frau an den Armen. Melissa blieb starr. Sie wusste, dass sie sich gegen die Übermacht nicht zur Wehr setzen könnte. Wut kochte in ihr hoch.
»Was fällt Ihnen ein?! Halten Sie sich für einen Gott? Oder sind Sie ein perverser Krimineller?«
Frater Apophis trat so dicht an Melissa heran, dass sie von seinem Speichel getroffen wurde, als er sprach: »Du solltest dich zusammenreißen, meine Liebe.
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