Projekt Sakkara
hünenhafte Mann nicht zu altern schien, doch im Laufe der Jahre hatte er es stillschweigend akzeptiert, bis der Zeitpunkt irgendwann vorüber war, sich zu wundern oder ihn darauf anzusprechen.
»Es ist schön, Sie zu sehen!«, sagte Guardner.
»Ganz meinerseits, alter Freund. Erlauben Sie, dass ich mich zu so später Stunde noch einen Augenblick zu Ihnen geselle?«
»Ich hatte nichts anderes erwartet! Darf ich Ihnen einen Wein anbieten?« Er hob sein Glas. »Ich habe gerade einen Omar Khayyam vom Essen offen, aber ich würde mich auch freuen, einen edlen Tropfen mit Ihnen zu teilen. Etwas Französisches vielleicht?« Er machte Anstalten, sich umständlich zu erheben, doch Al Haris gebot ihm mit einer Hand, sitzen zu bleiben, während er selbst neben ihm Platz nahm.
»Das ist außerordentlich freundlich von Ihnen. Doch nicht heute Abend. Abgesehen davon habe ich meinen Bedarf an den Corbieres in den letzten Jahren ausreichend gedeckt.«
»Ich verstehe.«
»Wann immer ich hier bin, erfreut mich Ihr wundersames Refugium. Das ist heute eine Seltenheit geworden.«
»Die Zeiten haben sich wahrlich geändert.«
»Die Beständigkeit liegt in ihrem steten Wandel. So war es schon immer.«
»Ja.«
Eine Pause trat ein, während der die beiden Männer in den Garten sahen. Guardner war sich bewusst, dass sie sich auf einer Schwelle befanden. Selten zuvor hatte er den Übergang so deutlich gespürt. Wie viel öfter gingen die Dinge einfach ineinander über, und man bemerkte es erst, wenn man mittendrinsteckte, wenn sie unumkehrbar oder sogar bereits vorbei waren. Aber nun saßen sie hier. Am Scheidepunkt.
»Sagen Sie«, fragte Guardner, »ließen Sie den Dingen stets einfach ihren Lauf?«
»Man kann alt werden, so wie Sie und ich«, antwortete Al Haris, »aber man wird niemals alt genug, um mit Sicherheit sagen zu können, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln. Alle unsere Vorhersagen bleiben nichts als mehr oder weniger begründete Vermutungen. Wer könnte sich anmaßen, über das Schicksal zu bestimmen?«
»Aber dennoch sitzen wir heute hier.«
»Ja. Doch nicht, um zu richten oder zu lenken. Wir bereiten lediglich einen Weg.«
»Das ist wohl wahr.«
»Wie bereitwillig sind die beiden Ihrer Einladung gefolgt?«
»Ähnlich zurückhaltend, wie zu erwarten war.«
»Halten Sie das für ein gutes Zeichen?«
»Ja, ich denke schon.«
»Das sehe ich ähnlich. Und ich befürworte Ihre Entscheidung. Doch sind Sie sich im Klaren, dass es auch misslingen kann?«
»Ja. Ich weiß. Aber wir müssen es wagen, oder? Mir bleibt leider nicht mehr viel Zeit ... «
Der Weißbärtige sah den Alten voller Wärme an und lächelte. »Das ist kein Fluch, mein Freund. Glauben Sie mir.«
»Ich weiß das wohl. Aber meine Aufgabe muss erfüllt werden. Und wenn ich nicht mehr bin ... « Er zuckte mit den Schultern. »Ich hoffe einfach, dass wir Erfolg haben.«
»Es gab niemals eine bessere Konstellation, so viel ist sicher.«
»Dann vertrauen Sie den beiden?«
Der Hüne schwieg einen Augenblick. »Ich vertraue Johanna«, sagte er dann.
Vor Oliver Guardners innerem Auge tauchte das ebenmäßige Gesicht der jungen Frau auf, die mit einer unbewussten Geste ihr blondes Haar hinter das Ohr schob.
Er nickte und lächelte gedankenverloren. »Wie geht es ihr?«
»Sie lässt Ihnen die besten Grüße ausrichten.«
»Das ist schön. Ich hätte sie gerne noch einmal wiedergesehen. Es ist unendlich schade, dass sie damals Ägypten verlassen und sich anderen Aufgaben in Europa widmen musste. Aber nicht alle Dinge sind den Menschen gegeben, und ich glaube, es ist auch das Beste für mich.«
»Das sieht sie genauso. Es tut mir leid, Oliver.«
Guardner schüttelte den Kopf, wie um eine Erinnerung abzuschütteln. »Nein, es muss Ihnen nicht leidtun. Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Und ich habe es keinen Tag bereut.«
Al Haris lächelte. »Es freut mich aufrichtig, das zu hören.«
Guardner nickte und nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Morgen zeige ich ihnen die Sammlung.«
»Das sollte außerordentlich interessant werden. Trauen Sie den beiden die Suche zu?«
»Die Suche? O ja, vollkommen. Aber es gehört ja noch mehr dazu. Vieles ist nicht mehr so, wie es vor siebzig Jahren war. Dem Staub der Jahrtausende hat sich in kürzester Zeit Geröll von wenigen Jahrzehnten hinzugesellt. Statt mehr zu wissen als früher, sind wir nur verwirrter als jemals zuvor.«
»Ein ähnliches Gespräch habe ich vor einiger Zeit schon mal
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