Projekt Sakkara
verwandelten sich in glühende Stränge aus dahinrasenden Rasierklingen, seine Augen quollen heraus, sein Kopf dröhnte, Schweiß drang ihm aus allen Poren. Er stand am Abgrund aller Dinge, er wusste, was von ihm erwartet wurde. Aber er hatte die Worte vergessen!
»Wie ist dein Bekenntnis?«, fragte die Frau.
O bitte, bitte, lass dies nicht das Ende sein!
»Bekenne dich«, wiederholte sie.
Die Seelenfresserin veränderte ihre Position, rutschte an sein Herz heran und fuhr mit ihrer schleimtriefenden Zunge darüber.
Patrick sah an sich herunter und entdeckte, dass er etwas in den Händen hielt. Er hob die Arme und sah, dass es ein Auge war. Er hatte es jemandem herausgerissen!
Plötzlich trat Peter neben ihn, und Patrick sah in sein schmerzverzerrtes Gesicht. Eine leere Augenhöhle starrte ihm entgegen, das Oberlid hing lose herab, und Streifen hellroten Blutes quollen darunter hervor.
»Mein Auge! Patrick, hilf mir!«, stöhnte Peter.
Entsetzt drehte sich Patrick zur Seite.
Gleißendes Licht flutete auf, und er blickte in das Gesicht einer jungen Frau. Es war Stefanie.
»Die Aufgabe liegt vor dir. Nun beweise dich.«
Dann öffnete er die Augen. Sein Herz schlug ihm noch immer bis zum Hals. Verwirrt sah er sich um und stellte fest, dass die morgendliche Sonne Kairos durch sein Fenster, auf sein Bett und in sein Gesicht schien.
»Patrick! Sind Sie wach?« Es war Peters Stimme, die durch die Tür drang.
Patrick schlug die Decke zurück und setzte sich auf. »Ja doch.«
»Wir sollten Mister Guardner nicht allzu lange warten lassen.«
»Augenblick!«
Patrick stand auf und suchte die Zigarettenpackung in den Taschen seiner Lederjacke. Er holte eine Zigarette heraus und entzündete sie. Mit dem ersten Zug breitete sich eine vertraute Ruhe in ihm aus. Er ging zum Fenster, durch dessen Vorhänge ein Lichtbalken direkt auf sein Kissen schien, und schob die schweren Stoffbahnen auseinander. Es war kein Fenster, sondern eine Tür, durch die man in den Garten gelangen konnte. Ein Gärtner, der in diesem Augenblick aufsah und ihn splitternackt im Zimmer erblickte, wandte erschrocken den Blick ab und eilte davon. Patrick schüttelte grinsend den Kopf. Dann suchte er seine Kleidungsstücke zusammen und begab sich ins Bad.
Peter wartete in der Halle und betrachtete die Statue des Echnaton. Er konnte sich kaum vorstellen, dass sie echt war, denn Echnaton regierte nur knapp siebzehn Jahre. Nach seinem Tod wurde er geschmäht, und die Amun-Priesterschaft war bemüht, jede Erinnerung an ihn auszulöschen. Während Statuen oder Gemälde anderer Herrscher über Jahrhunderte hinweg gepflegt wurden, war jedes verbliebene Zeugnis von Echnaton ein Relikt aus einem winzigen Zeitraum der knapp dreitausend Jahre umfassenden Epoche der Pharaonen. Das machte diese Objekte äußert selten und kostbar.
Peter erinnerte sich, wie er selbst erst recht spät mit der ägyptischen Kultur in Berührung gekommen war. Vor nunmehr knapp zwanzig Jahren hatte ihn eine Wanderausstellung der Schätze des Tutanchamun beeindruckt. Ihm war der schier unerschöpfliche Reichtum dieser antiken Kultur bewusst geworden, und so hatte er sich in den darauffolgenden Jahren darum bemüht, die Geschichte des Landes und die fantastische Hieroglyphenschrift zu verstehen. Einige Jahre später hatte sich sein Augenmerk jedoch von der archäologischen Betrachtung gelöst. Stattdessen vertiefte er sich in die wechselseitigen Einflüsse und Abhängigkeiten antiker Kulturen, ihre Überlieferungen und Religionen. Er hatte die Verbindung des ägyptischen Pantheons mit der sumerischen Götterwelt untersucht, die Ähnlichkeiten des Aton-Kultes mit der hebräischen Lehre und die mögliche Verbindung zwischen dem historischen Echnaton und dem wahrscheinlich fiktiven Moses. Es war daher kein Zufall, dass ihm dieser Herrscher so vertraut war. Und nun, als er seine Statue berührte, fühlte er ein eigenartiges Kribbeln. Ein Stück Vergangenheit war lebendig geworden. So mussten sich Archäologen im Feld fühlen, wenn sie ein Artefakt zutage förderten. Peter beneidete sie.
»Geht's los?«, fragte Patrick, der noch nicht rasiert war, aber immerhin ein einigermaßen knitterfreies, kurzärmeliges Safarihemd und eine khakifarbene Stoffhose mit Seitentaschen trug.
Peter hatte nicht vor, eine Wüstenexpedition zu unternehmen, und sich daher in eine schwarze Leinenhose und ein schwarzes Hemd mit Stehkragen gekleidet. Er ließ seine Hand vom Bauch der Statue gleiten. »Sicher.
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