Projekt Sakkara
blieb nach einigen Schritten abrupt stehen. Vor ihm stand ein goldener Schrein, einem Altar ähnlich, und darauf lag ein großer, schwarzer Hund mit schmaler Schnauze und gespitzten Ohren. Für einen unwirklichen Moment sah er in ihm eine jener Bestien aus seinem Traum. Fast erwartete er, dass sich das Tier ihm zuwenden und aufstehen würde, um ihm erneut an die Kehle zu springen. Einen Lidschlag später erkannte er erleichtert, dass es lediglich eine Statue war. Doch die Ähnlichkeit war erschreckend.
Er wollte Melissa auf das Objekt ansprechen, aber sie kümmerte sich um die restlichen Touristen, die einige Räume weiter die goldenen Sarkophage und die berühmte Totenmaske des Tutanchamun bewunderten.
Patrick ging langsam an dem Hund vorbei. Aus der Nähe wirkte das Tier wesentlich kleiner und weniger bedrohlich. Die hölzerne Statue war bis auf einige Details vollkommen schwarz: Die Augen waren golden umrandet, die Innenseiten der Ohren mit Gold bedeckt, und um den Hals lag ein goldenes, verknotetes Tuch. Der gebauschte Schwanz fiel auf der Rückseite des goldenen Schreins herab und machte den Hund bei eingehender Betrachtung eher zu einer Art Schakal.
Patrick schloss zu der Gruppe auf. Die Leute belagerten gerade die berühmtesten Teile des Schatzes, und Patrick fragte sich, ob es für einen normalen Touristen wohl überhaupt denkbar war, ohne mindestens ein Foto von Tutanchamuns Maske nach Hause zu kommen.
Melissas Führung kam schließlich zum Ende. Sie verabschiedete sich von den Touristen, einzelne bedankten sich noch bei ihr, dann löste sich die Gruppe auf.
»Fertig«, sagte Melissa lächelnd, während sie auf Patrick zukam, der an einer Säule lehnte. »Lust auf einen Kaffee?«
»Darauf warte ich doch schon seit einer Stunde«, gab er mit einem Schmunzeln zurück.
»Prima, dann komm! Ich hoffe, du hast dich nicht zu sehr gelangweilt.« Sie führte Patrick denselben Weg zurück, den sie gekommen waren.
»Im Gegenteil. Ach übrigens: Was ist das hier eigentlich?« Er deutete auf den schwarzen Hund, den sie gerade passierten.
»Das ist Anubis.«
»Einer der ägyptischen Götter?«
»Ja, sicher! Du kennst dich wirklich nicht so gut mit Ägypten aus, hm?« Als Patrick nicht antwortete, fuhr sie fort. »Also gut, ja, Anubis ist einer der Götter, sogar ein ganz wichtiger. Er wird als Hund oder Schakal dargestellt, oder als Mensch mit Schakalskopf. Anubis ist der Freund und Beschützer der Toten. Daher auch die schwarze Farbe: die Farbe des Todes und zugleich der Fruchtbarkeit, da aus dem Tod neues Leben entspringt. Anubis bewacht den Eingang zum Totenreich, er öffnet den Mund der Mumie und geleitet die Seele zum Gericht der Maat, wo das Herz des Toten gegen eine Feder aufgewogen wird.
Diese Statue hier stand im Grab Tutanchamuns vor dem Eingang der Sargkammer.«
Patrick starrte auf die Figur, aber er sah ins Leere. Teile seines Traums wiederholten sich vor seinem inneren Auge. Die schwarzen Hunde, das Öffnen seines Mundes, das Wiegen seines Herzens ... Er kannte diese Geschichten überhaupt nicht, und doch hatte er davon geträumt!
»Alles in Ordnung?«, fragte Melissa und berührte ihn sanft an der Schulter. Er zuckte zusammen und versuchte, die beunruhigenden Gedanken abzuschütteln. »Ja, sicher«, antwortete er. »Gehen wir!«
»Erzähl mir etwas von dir«, sagte Melissa mit großen Augen über ihren Kaffee hinweg.
»Von mir?« Er blies den Rauch seiner Zigarette nach oben. »Was willst du denn wissen?«
»Na, wo du herkommst, was du beruflich machst und so.«
»Ich bin Ingenieur. Jedenfalls habe ich Maschinenbau und Informatik studiert. Durch Zufall habe ich dann ein paar Mal bei archäologischen Expeditionen geholfen und die Technik betreut. Also Computer, Analysegeräte oder Roboter bedient. Ich habe mich immer mehr für Archäologie interessiert, und später habe ich dann angefangen, auf eigene Rechnung zu arbeiten.
»Als was denn? Als Schatzsucher?«
»Ich habe in Palenque ein paar Schächte untersucht und in den Katakomben unter Rom eine frühchristliche Kapelle gefunden.«
»Tatsächlich? Das ist ja aufregend!«
»Es war okay, denke ich.« Die Tatsache, dass er dafür Forschungsgelder und Roboter der ESA zweckentfremdet hatte, dass er in die Krypta der römischen Kirche eingebrochen war, und dass er für keine der Aktionen eine Genehmigung gehabt hatte, verschwieg er ihr wohlweislich.
»Und wie bist du mit Professor Lavell zusammengekommen?«
»Auch durch Zufall. Wir
Weitere Kostenlose Bücher