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Projekt Wintermond

Projekt Wintermond

Titel: Projekt Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Meade
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Garuda den Gang hinunter. »Bobby hat sich völlig in sich selbst zurückgezogen. Er will mit niemandem sprechen. Als wäre er in einer anderen Welt.«
    »Ist etwas passiert?«
    »Nach Ihrem letzten Besuch hatte er einen Anfall. Bobby bekommt häufiger leichte Anfälle, die wir mit Medikamenten jedes Mal schnell wieder in den Griff bekommen. Seit dem letzten Anfall aber ist er nicht mehr derselbe. Ich habe ihn noch nie so deprimiert gesehen. Er will nichts essen, keine Musik hören. Er will nur Jenny sehen, aber ihr Handy ist ständig ausgeschaltet. Wir kriegen einfach keine Verbindung. Worüber haben Sie mit dem Jungen geredet, verdammt nochmal?«
    Leroy blieb vor einer Tür stehen und öffnete sie. Bobby saß in seinem Rollstuhl. Sein Kopf war zur Seite geneigt. Er starrte mit leerem Blick aus dem Fenster.
    »Leroy«, sagte Garuda, »ich muss Ihnen etwas gestehen. Ich habe mich wie ein Idiot benommen.«
    »Ach ja?«
    »Ich habe dem Jungen gesagt, dass man die Leiche seines Vaters gefunden hat.«
    »Was?«
    »Haben Sie nichts von der Sache gehört?«
    »Nein.«
    Garuda klärte ihn auf. »Ich hab nicht nachgedacht und Bobby etwas erzählt, was ich ihm nicht hätte erzählen dürfen. Jennifer wollte ihn offenbar nicht beunruhigen.«
    »Das ist ja irre. Das mit der Leiche seines alten Herrn, meine ich.«
    »Sie sagen es.«
    »Wäre wohl das Beste, wenn man Jennifer über Bobbys Zustand informiert. Können Sie ihren Freund Mark auch nicht erreichen?«
    »Er ist nicht im Lande, und seine Handynummer hab ich nicht. Ich hoffe, er ruft mich an. Was dagegen, wenn ich Bobby besuche?«
    »Nee, aber diesmal bleibe ich dabei. Und wenn er wieder zu schreien anfängt, machen Sie unverzüglich die Fliege, klar?«
    »Sie sind der Boss.«
    »Wie geht’s, Bobby?«
    Bobby hob nicht einmal den Blick. Er saß geistesabwesend in seinem Rollstuhl. Aus den Mundwinkeln rann Speichel auf sein Kinn. Leroy beugte sich zu ihm hinüber und wischte den Speichel mit einem Papiertuch weg.
    »Der Freund von Mark ist hier, Bobby. Ist alles in Ordnung? Brauchst du etwas? Wenn du nicht mit dem Mann sprechen willst, sag es mir. Dann verschwindet er sofort.«
    Bobby reagierte nicht. »Sehen Sie, was ich meine?«, fragte Leroy.
    Garuda setzte sich neben Bobbys Rollstuhl aufs Bett.
    »Ich dachte, ich schaue nochmal vorbei, Bobby. Alles klar?«
    Der Junge reagierte nicht. Garudas Blick fiel auf den Notizblock und den Stift, die auf dem Tisch neben dem Rollstuhl lagen. Er nahm den Block in die Hand. »Ist das deiner, Bobby?«
    Keine Reaktion. »Malst du gern?«
    Bobby zuckte nicht mit der Wimper. Garuda schaute sich den Block an und schlug eine der voll gekritzelten Seiten auf. Auf den ersten Blick konnte er nichts damit anfangen. Bei näherer Betrachtung jedoch erkannte er primitive Formen in dem Gekritzel: Zacken, die an Berggipfel erinnerten. »Hör mal, Bobby, ich hab von Leroy erfahren, wie sehr unser Gespräch neulich dich aufgeregt hat. Das tut mir Leid. Ich wusste nicht, dass Jennifer dir nichts davon gesagt hatte, dass dein Vater… du weißt schon.«
    Bobbys Miene verdüsterte sich. In seinen Augen schimmerten Tränen.
    »Du hast mich doch verstanden, Bobby? Willst du etwas auf deinen Block schreiben? Sag mir, was los ist.«
    Bobby streckte langsam eine Hand aus und krümmte systematisch die Finger. »Was bedeutet das?«, fragte Garuda den Pfleger. »Ist das Zeichensprache?«
    »Ja. Bobby will wissen, was Sie noch über seinen Vater erfahren haben.«
    »Nichts«, gab Garuda zu. »Ich hab dir alles gesagt, was ich weiß, Bobby. Ich schwöre.«
    Bobby wandte den Kopf ab und starrte aus dem Fenster.
    »Möchtest du mir etwas sagen, Bobby?«
    Ohne sich umzudrehen, hob der Junge den Mittelfinger der rechten Hand. Die Botschaft war unmissverständlich.
    Leroy grinste verhalten. »Na, das ist eindeutig. Er will allein sein.«
    Garuda stand auf und folgte Leroy zur Tür. »Und jetzt?«, flüsterte Garuda.
    »Dr. Reed beschäftigt sich heute Nachmittag mit Bobby. Sie ist unsere beste Therapeutin. Ich werde ihr alles berichten, was Sie gesagt haben.«
    »Danke. Vielleicht hat sie mehr Glück als ich.« Garuda schaute auf die Zacken auf dem Notizblock und riss eine leere Seite heraus, auf die er seine Telefonnummer schrieb. »Könnten Sie mich über die Diagnose der Therapeutin informieren?«
    »Reden Sie mit Mark?«
    »Klar. Sobald er mich anruft.«
    47
    Brig, Schweiz

    Das Taxi, in dem Jennifer und McCaul saßen, hielt auf der Hauptstraße von Brig.

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