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Projekt Wintermond

Projekt Wintermond

Titel: Projekt Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Meade
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eingeschaltet wurde und alles unternimmt, um ihn zu finden.«
    »Was sagen Sie da?«
    »Ihr Vater ist verschwunden, Jennifer. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.«

    Nachdem Kelso gegangen war, starrte Jennifer mit ausdruckslosem Blick auf die Wand. Sie fühlte sich mehr tot als lebendig. Ihre Gedanken drehten sich einzig und allein um die Katastrophe, die ihre Familie heimgesucht hatte. Ihre Mutter war tot, ihr Bruder würde für den Rest seines Lebens behindert sein, und ihr Vater war spurlos verschwunden. Und sie selbst hatte in der Gewalt des Mörders die qualvollsten Momente ihres Lebens durchgemacht. Unerträgliches Leid schnürte ihr die Kehle zu. Nach der ärztlichen Untersuchung und dem erforderlichen Abstrich fühlte sie sich schmutzig, gedemütigt. Doch angesichts der Ermordung ihrer Mutter, Bobbys furchtbarer Verletzung und dem seltsamen Verschwinden ihres Vaters erschien Jennifer das eigene Leid fast bedeutungslos.
    Von den Krankenschwestern erfuhr sie, dass Zeitungs- und Fernsehreporter das Krankenhaus mit Anfragen nach einem Interview bombardierten, doch Jennifer wollte niemanden sehen. Noch Monate nach dem Drama weigerte sie sich, darüber zu sprechen. Jedes Wort entfachte den Schmerz aufs Neue, und nichts konnte das Gefühl schmerzlicher Einsamkeit und tiefer Trauer lindern.

    Ein Kriminalbeamter begleitete Jennifer in ihrem Wagen, als sie ihre Sachen in der elterlichen Villa in Long Beach abholte und das Haus verschloss. Es war sechs Wochen nach dem Mord, und sie fühlte sich verlassen und verwundbar. Über den Aufenthaltsort ihres Vaters war noch immer nichts bekannt. Interpol hatte Paul March weder in Zürich noch anderswo ausfindig machen können. Wie Kelso gesagt hatte: Jennifers Vater war wie vom Erdboden verschluckt.
    Sie bat den Detective, sie allein zu lassen, damit sie in Ruhe ihre Tasche packen konnte. Außerdem wollte sie einige Andenken an ihre Eltern mitnehmen.
    »Tut mir Leid, Miss«, sagte der Beamte. »Es ist besser, wenn ich bleibe. Sie haben sich noch nicht von dem Schock erholt.«
    Jennifer warf ihm einen finsteren Blick zu. »Das ist mein Haus. Lassen Sie mich bitte einen Moment allein.«
    Der Detective seufzte und willigte notgedrungen ein.
    »Also gut, ich warte am Wagen. Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie.«
    Jennifer ging langsam, wie benommen durchs Haus. Einst hatten hier das Lachen gewohnt, das Glück und die Fröhlichkeit. Jetzt waren die Räume kalt und verlassen. Wie tot. Nach den traumatischen Ereignissen, die sich zugetragen hatten, konnte dieses Haus Jennifer kein Heim mehr bieten, zumindest, solange ihr Vater nicht mehr Teil ihres Lebens war. Sie hätte es nicht ertragen, das Schlafzimmer ihrer Eltern zu betreten. Und auch wenn der Maskierte nicht zurückgekehrt war, lebte er jede Nacht in Jennifers Albträumen weiter.
    Sie setzte sich im Arbeitszimmer ihres Vaters an den Schreibtisch und sah die alten Ansichtskarten durch, die er ihr geschickt hatte, als sie ein kleines Mädchen gewesen war. Wären ihre Tränen nicht versiegt gewesen, hätte sie geweint. Schränke und Schubladen waren geöffnet und durchwühlt worden, vermutlich von der Polizei. Jennifer öffnete die Terrassentür, schaute hinaus auf den Steg und das Bootshaus und lauschte dem leisen Plätschern der Wellen. Nicht lange vor der Katastrophe hatte ihr Vater sich ein gebrauchtes Motorboot zugelegt, mit dem er zum Angeln hinausgefahren war. Jetzt lag das Boot, von Staub und Spinnweben bedeckt, im Bootshaus.
    Jennifer betrachtete die Flasche Scotch und die Zigaretten ihres Vaters. Kurz entschlossen schenkte sie sich einen Drink ein und zündete sich eine Zigarette an. Das Glas in der Hand, trat sie hinaus auf die Terrasse, schlenderte zum Wasser und setzte sich in der Nähe des Bootshauses so auf den Steg, dass ihre Füße über dem feuchten Sand baumelten.
    Die Flut hatte eingesetzt. Eine Metallleiter führte hinunter ins Wasser. Jennifer blickte zum Meer. Es war ein kühler Frühlingsnachmittag, und eine frische Atlantikbrise strich über die Schaumkronen der Wellen hinweg. Wenn ihr Vater allein sein wollte, war er über diesen Steg oft zum Wasser spaziert. In manchen Sommernächten hatte Jennifer von ihrem Zimmer aus das Pochen seiner Schritte hören können. Als sie älter wurde, saß Daddy oft mit ihr und Bobby auf diesem Steg, hatte erzählt und zum Himmel gezeigt. Siehst du den hellen Stern dort, Jennifer? Das ist Sirius. Und da ist der Polarstern. Und manchmal, wenn er zurück ins Haus musste,

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