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Projekt Wintermond

Projekt Wintermond

Titel: Projekt Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Meade
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siegessicheren Grinsen auf den Block. Leroy überprüfte die Antwort und schlug sich auf die kräftigen Oberschenkel. »Mann, du bist ein wandelndes Lexikon, Bobby. Du hast ein besseres Gedächtnis als ein Elefant. Klasse!«
    Er zerraufte Bobbys Haar und stand auf. »Er lässt mich nie im Stich«, sagte er zu Jennifer, wobei er übers ganze Gesicht grinste. »Bobby könnte glatt bei einer Quizshow mitmachen und schöne Autos, Reisen oder viel Geld gewinnen. Und ich mime den Manager.«
    Jennifer reichte Leroy die Hand.
    »Danke«, sagte sie schlicht.
    »Kein Problem.«
    Die Sonne schien in den ruhigen Wintergarten. Der Rasen hinter dem Fenster erstreckte sich bis zu den Kiefern und dem Teich in einiger Entfernung. Eine Brise wehte über die Dachziegel und spielte mit Bobbys Haar. Jennifer beugte sich über ihren Bruder und strich sein Haar glatt. »Na? Wie geht es dir denn so?«
    Bobby schaukelte im Rollstuhl hin und her. Er war siebzehn, sah mit dem dichten dunklen Haar und der blassen Haut aber wie vierzehn aus. Schon als Kind war er sehr schüchtern gewesen. Nur wenn er aufgeregt war, ging sein Temperament mit ihm durch. An seinem derzeit erregten Gemütszustand trug eher das Gefühl hilfloser Enttäuschung als schlechte Laune die Schuld. Jennifer dachte oft darüber nach, wie Bobbys Leben hätte verlaufen können, wäre alles anders gekommen. Er hätte jetzt die Highschool besucht, hätte eine Freundin und würde ein ganz normales Leben führen. Jennifer verdrängte diese bitteren Gedanken. Bobby lebte, und das allein zählte. Und sie waren für den anderen da. Doch heute wirkte Bobby seltsam zerstreut.
    »Du vermisst mich, nicht wahr?«
    Bobby nickte.
    »Leroy sagte, du hättest in den letzten Tagen schlecht gegessen. Ist alles in Ordnung?«
    Bobby schien irgendetwas auf dem Herzen zu haben. Er wandte das Gesicht ab und spannte die Muskeln an.
    »Was ist los, Bobby?«
    Bobby nahm den Block und legte ihn auf die Knie. Im letzten Jahr hatte er gelernt, sich der Zeichensprache zu bedienen. Jennifer blieb nichts anderes übrig, als diese Sprache ebenfalls zu erlernen. Für Bobby war sie das normale Kommunikationsmittel geworden. War er jedoch aufgeregt oder wütend, bevorzugte er es aus irgendeinem Grund, seine Antworten niederzuschreiben.
    Das Spiel, das er vorhin mit Leroy gespielt hatte, sollte seinen Verstand auf Trab halten. Bobby hatte ein hervorragendes Gedächtnis, und er liebte Musik. Jennifer erinnerte sich, dass er bereits als Kleinkind zum Radio gekrabbelt war, es angestellt und sich im Kreis gedreht hatte, sobald Musik erklang. Doch an die Nacht, in der seine Mutter so brutal ermordet worden war, hatte er nicht die geringsten Erinnerungen. Jennifer fragte sich oft, was der Grund dafür war. Wollte Bobby sich bewusst nicht an das Drama erinnern? Oder hatte die Kugel, die in seinen Schädel eingedrungen war, jenen Teil des Gehirns zerstört, in dem die Erinnerungen gespeichert waren?
    Die Ärzte konnten diese Fragen nicht beantworten. Manchmal glaubte Jennifer, dass Bobby einfach Angst hatte, sich an die Ereignisse in jener Nacht zu erinnern, in der ihre Mutter getötet worden war und ihr Vater spurlos verschwand.
    Doch wann immer Jennifer das Thema anschnitt, drehte er sich um und tat so, als würde er nichts verstehen oder als wollte er allein sein. Kein einziges Mal hatte er sich mit ihr über die Nacht ausgetauscht, die ihrer beider Leben zerstört hatte. Die Ereignisse hatten seinen Körper und seine Seele zu schwer verletzt. Dabei wusste Jennifer genau, dass sie beide kein normales Leben würden führen können, solange sie nicht über das Drama sprechen konnten.
    Bobby kritzelte etwas auf den Block und starrte dann ins Leere. Er wirkte aufgewühlt. Jennifer schaute auf den Block: Mamas Grab.
    »Du möchtest auf den Friedhof?«
    Bobby nickte.
    »Willst du das wirklich? Du weißt, wie aufgeregt du nach den Besuchen auf dem Friedhof immer bist. Aber wenn du unbedingt möchtest, komme ich morgen vorbei und fahre mit dir hin.«
    Bobby nickte bloß. Er ging nicht gern auf den Friedhof. Nach einem Besuch am Grab der Mutter konnte er sich kaum beruhigen und hatte tagelang mit den Folgen der Aufregung zu kämpfen. Beim letzten Mal bekam er sogar einen Anfall, kurz nachdem sie den Friedhof verlassen hatten. Bobby litt seit der Schussverletzung an leichten epileptischen Anfällen. Bei Personen, die ein Hirntrauma erlitten hatten, sei das nicht ungewöhnlich, hatten die Ärzte erklärt.
    Jennifer vermutete,

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