Projekt Wintermond
Reisepass steckte. Caruso zeigte ihr das Foto. »Ist das der Pass Ihres Vaters?«
Jennifer schluckte. Ihr Vater sah so aus wie in ihrer Erinnerung: dunkles Haar, blaue Augen, gut aussehendes Gesicht. »Ja.«
Caruso steckte den Reisepass zurück in die Mappe und stand auf. »Danke. Wenn Sie mir bitte folgen würden. Wir werden in der Leichenhalle erwartet.«
In der Mitte der Gerichtsmedizin stand ein Metalltisch, auf dem der von einer Decke verhüllte Leichnam lag. Jennifer wandte verstört den Blick ab.
Ein kleiner, fröhlicher Mann mit weißem Spitzbart und Brille stand am Waschbecken, schrubbte seine Hände und trocknete sie ab. Caruso stellte ihn vor. »Das ist Vito Rima, unser Gerichtsmediziner. Er spricht ausgezeichnet Englisch.«
»Angenehm«, begrüßte Rima die Besucher und sagte zu Jennifer: »Es ist sicher schwer für Sie, weil… ich muss Ihnen etwas erklären. Der Leichnam wurde sorgfältig aufgetaut und ist in verhältnismäßig gutem Zustand. Daher dürfte Ihr Vater beinahe so aussehen wie in Ihrer Erinnerung, und das könnte ein Schock für Sie sein.«
»Wie ist er ums Leben gekommen?«
»Meine bisherigen Untersuchungen deuten auf Tod durch Erfrieren hin«, antwortete Rima. »Auf seiner Brust, den Armen und Beinen sind Blutergüsse. Die könnte er sich beim Sturz in die Gletscherspalte zugezogen haben. Nach der Autopsie weiß ich mehr. Sobald Sie Ihren Vater identifiziert haben, werde ich damit beginnen. Da wäre noch etwas. Die meisten Untersuchungen, die uns helfen, den Zeitpunkt des Todes zu bestimmen, sind von der Temperatur der Organe und des Körpers abhängig. Bei Ihrem Vater können wir diese Tests nicht vornehmen, da er zu lange im Eis lag. Aber die Gegenstände, die wir bei ihm gefunden haben, beweisen, dass er vor fast genau zwei Jahren starb. Würden Sie das bitte erklären, commissario?«
»Der Leichnam war vollständig bekleidet«, sagte Caruso zu Jennifer. »In den Taschen und im Rucksack fanden wir persönliche Dinge . Ich erkläre es Ihnen, wenn Sie Ihren Vater identifiziert haben.«
Rima streifte ein paar Einweghandschuhe über. »Da drüben steht ein Plastikeimer, Signorina, falls Ihnen übel wird.«
Jennifer war jetzt schon speiübel. Auf einem metallenen Rollwagen lag ein weißes Tuch mit den Werkzeugen eines Gerichtsmediziners: Skalpelle, eine elektrische Säge, ein Bohrer und anderes. Der Gedanke, dass Rima den Körper ihres Vaters mit diesen Mordinstrumenten verstümmeln würde, jagte Jennifer kalte Schauer über den Rücken.
»Sind Sie bereit, Signorina?«, fragte Rima.
»Ja«, sagte sie.
Rima führte sie zum Metalltisch, ergriff eine Ecke des weißen Tuches und schaute Jennifer fragend an. Sie atmete tief ein und nickte.
Doch als Rima eine Decke des Tuches anhob, schloss Jennifer die Augen. Sie hatte schreckliche Angst vor dem Augenblick. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie sah Bilder ihres Vaters aus glücklichen Kindertagen vor sich. Er lief ihr lächelnd entgegen. Sie spürte seine starken Arme, in denen sie sich geborgen fühlte, hörte seine zärtliche Stimme…
McCaul umfasste ihr Handgelenk. »Nehmen Sie sich Zeit, Jennifer. Ich bin bei Ihnen.«
Sie öffnete die Augen. Als sie auf den nackten Oberkörper ihres Vaters blickte, schnappte sie nach Luft. Auf Brust und Armen waren dunkle Flecke. Sie sah ihm ins Gesicht. Seine Züge waren verzerrt, die Haut leichenblass, und die blauen Augen starrten blind an die Decke. Jennifer drehte sich der Magen um. Sie musste den Blick abwenden.
»Signorina March«, sagte Caruso ruhig. »Ich muss Sie bitten, den Leichnam zu identifizieren. Ist das Ihr Vater, Paul March?«
Jennifer riss sich zusammen und sah dem Toten tapfer ins Gesicht. Ihre Beine begannen zu zittern.
»Ist dieser Mann Ihr Vater?«, fragte Caruso.
Jennifer war sprachlos.
»Signorina?«
Jennifer starrte bebend auf den Leichnam und stieß bestürzt hervor: »Ich . ich habe diesen Mann noch nie gesehen.«
22
»Wie fühlen Sie sich?«
Sie saßen wieder in Carusos Büro. Jennifer schaute den commissario an. »Ich bin erschüttert.«
Caruso reichte Jennifer und McCaul heißen Kaffee. Jennifer rührte ihre Tasse nicht an. Wenn der Tote in der Gerichtsmedizin ein Fremder ist, lebt mein Vater vielleicht noch. Der Gedanke ließ sie nicht mehr los. »Was hat dieser Mann mit dem Reisepass meines Vaters gemacht?«, fragte sie Caruso.
Der commissario schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, Signorina.«
»Wo genau haben Sie den Pass
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