Projekt Wintermond
Zornesröte in die Wangen. »Mein Vater hätte niemals einen Menschen getötet. Er war kein Mörder!«
»Regen Sie sich nicht auf, Jennifer. Das habe ich auch nicht behauptet. Jedenfalls wäre es ein perfektes Täuschungsmanöver. Für den Fall der Fälle sollte alles darauf hindeuten, dass es sich bei dem Toten in der Gletscherspalte um Paul March handelt, der wegen Mordverdachts gesucht wird. Mich würde interessieren, was die beiden da oben gemacht haben. Kannten sie sich? Waren sie Freunde, Geschäftspartner oder was sonst? Und wohin wollten sie?«
McCaul strich sich über die Schläfen. Es waren zu viele Fragen, auf die er Antworten suchte. »Es wird gleich dunkel. Wir können nicht die ganze Nacht hier bleiben. Wir müssen uns ein Hotel suchen.« McCaul schaute im Licht der Taschenlampe auf die Karte. »In der Nähe ist eine Stadt. Es sind höchstens zwölf Kilometer.«
»Als ich mit Anton auf dem Wasenhorn war, haben wir uns eine kleine Schutzhütte für Bergsteiger angesehen.«
Jennifer zeigte ihm auf der Karte die Stelle. »Unweit des Wasenhorns steht auf der italienischen Seite der Grenze das Kloster der Dornenkrone. Anton hat mir erzählt, dass es seit Jahrhunderten dort steht und von den Bergsteigern aufgesucht wird, falls das Wetter plötzlich umschlägt.«
»Verstehe .«
»Ich habe mir Gedanken darüber gemacht. Derjenige, der in jener Nacht das Wasenhorn überqueren wollte, marschierte auf jeden Fall in Richtung Varzo. Und das Kloster liegt auf dem Weg.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Es ist vielleicht ziemlich weit hergeholt, aber möglicherweise erinnert sich im Kloster jemand daran, ob ein Fremder in der Nacht des Unwetters dort Zuflucht gesucht hat. Wir wären in einer knappen Stunde da. Anschließend könnten wir uns in Varzo ein Zimmer suchen.«
In diesem Augenblick fuhr ein weißer Fiat mit dem blauen Schriftzug der Karabinieri an ihnen vorbei. McCaul wartete, bis der Wagen außer Sichtweite war, und sprang auf. Ein Donnerschlag rollte durch die Berge. Regen setzte ein.
»Okay, versuchen wir’s. Das Kloster ist alles, was wir haben. Sonst gibt es nichts als Fragen, und eine macht mir besonders zu schaffen: Vor wem kann jemand so schreckliche Angst haben, dass er nicht einmal vor Mord zurückschreckt, um die polizeilichen Ermittlungen zu vereiteln?« McCaul faltete die Karte zusammen und steckte die Taschenlampe ein. »Wenn Sie mich fragen, versucht da jemand, eine Riesenschweinerei zu vertuschen.«
26
Turin
Als eine Frauenstimme an Marks Ohr drang, erwachte er und schlug die Augen auf. Er lag im Einbettzimmer eines Krankenhauses. Eine hübsche junge Krankenschwester beugte sich über ihn und schüttelte sein Kissen auf.
»Come sta?«, fragte sie.
Mark schaute sie verwirrt an. Neben ihr stand ein freundlich dreinblickender Mann in einem weißen Kittel. Auch er sprach Italienisch. Mark verstand kein Wort.
»Der Arzt möchte wissen, ob Sie Italienisch sprechen, Ryan.«
Erst jetzt sah Mark Kelso neben der Tür stehen. »Was … was ist geschehen?«, stammelte er.
Kelso trat ans Bett. »Das erkläre ich Ihnen später. Der Arzt will Sie untersuchen. Da er kein Englisch spricht, werde ich dolmetschen. Die Krankenschwester möchte wissen, wie Sie sich fühlen.«
»Ich bin völlig durcheinander. Mein Schädel brummt, und meine Ohren klingeln.«
Kelso übersetzte. Der Arzt leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe in Marks Augen. Dann hielt er zwei Finger hoch und fragte nach der Anzahl. »Er will wissen, wie viele Finger Sie sehen«, sagte Kelso.
»Zwei.«
Mit einem anderen Instrument untersuchte der Arzt Marks Ohren; mit dem Stethoskop horchte er seinen Brustkorb ab und überprüfte anschließend den Puls.
»Was ist passiert, Kelso?«
»Können Sie sich an nichts erinnern?«
»Es gab eine Explosion. Mein Wagen fing Feuer…«
»Ja. Und zum Glück konnten Sie befreit werden. Sie haben ein paar Schnittwunden, Blutergüsse und eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen. Die Röntgenaufnahmen zeigen keine inneren Verletzungen.«
Mark hatte fürchterliche Kopfschmerzen. Er tastete mit den Fingern über die Stirn. Auf der Wunde, die er sich beim Aufprall gegen das Wagendach zugezogen hatte, klebte ein großes Pflaster. »Wie lange bin ich schon hier?«
»Ein paar Stunden.«
Mark hatte jedes Zeitgefühl verloren. Er erinnerte sich an die ohrenbetäubende Explosion und den schmerzhaften Aufprall. Die Erinnerung an seine Rettung aus dem brennenden Wagen und an die heulenden
Weitere Kostenlose Bücher